
Flüchtlinge bei der ersten Jobmesse für Geflüchtete, die im Juli 2016 im Wiener Museumsquartier stattfand. Asylberechtigte hoffen, dass in Städten die Suche nach Arbeit schneller erfolgreich ist.
Wien – Das Thema ist virulent, parteipolitisch aber aufgeladen. Im Zentrum steht die heikle Frage: Zieht die Bundeshauptstadt Flüchtlinge mit großzügigen Sozialleistungen an und halst sie sich dadurch enorme Budgetprobleme auf? ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka wettert schon seit Monaten gegen "das Sozialparadies" Wien und verlangt Kürzungen. Der Rechnungshof will sich die Situation jetzt genauer anschauen.
Die Entwicklungen verlaufen in vielen europäischen Städten ähnlich: Spätestens wenn Flüchtlinge ihren positiven Asylbescheid in Händen halten, versuchen sie meist, in die Ballungsräume zu ziehen, um Verwandte und Landsleute wiederzusehen und Arbeit oder Wohnraum zu finden. Das Land lockt nur wenige an. So auch die Situation in Österreich: Wien zieht magnetisch an.
In letzter Zeit klagen bereits Chefs von Bildungseinrichtungen, die – um nicht in parteipolitische Hickhacks gezogen zu werden – anonym bleiben wollen, dass selbst Lehrlinge, die bereits vielversprechende Angebote der Industrie haben, die Lehre in dem Moment, in dem sie einen positiven Asylbescheid in Händen halten, abbrechen und nach Wien wechseln. Der meistgenannte Grund: In den Ländern gilt die Grundversorgung meist noch für weitere vier Monate, ehe man die höherdotierte Mindestsicherung beziehen kann. In Wien gibt es die Mindestsicherung in der Regel sofort. Im Büro der Wiener SPÖ-Stadträtin Sonja Wehsely will man da aber widersprechen: Nicht "nur" Wien handhabe die Mindestsicherung anders.
"Tendenz nach Wien"
Im Innenministerium bestätigt Sprecher Karl-Heinz Grundböck: "Eine Tendenz nach Wien kann man nicht verleugnen." Jedenfalls bei jenen, die einen positiven Asylbescheid bekommen. Das lasse sich statistisch nachvollziehen. Gegenwärtig sind österreichweit 67.476 Asylwerber registriert, die sich in einem laufenden Verfahren befinden. Davon leben in Wien 11.797 "grundversorgte" Flüchtlinge. Also rund ein Sechstel. Bei den anerkannten Flüchtlingen sieht das Verhältnis anders aus: 6.166 bekamen in den vergangenen vier Monaten einen positiven Bescheid. Die Hälfte davon, 3.087 Flüchtlinge, lebt in Wien. Weil sie hier eben sofort einen Anspruch auf Mindestsicherung haben – so die Annahme. Exakt kann die Flüchtlingswanderung in Österreich nicht nachvollzogen werden, da keine zentralen Aufzeichnungen existieren.
Stöger für Wohnsitzauflage
Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) kann die Beweggründe für einen Wohnortswechsel jedenfalls durchaus verstehen: "Die Menschen erwarten sich, in Städten schneller Anschluss an Landsleute zu finden. Außerdem hoffen sie, dass in Städten die Suche nach Arbeit schneller erfolgreich ist. In der Praxis ist die Situation aber oft anders – die Chancen am Arbeitsmarkt sind vor allem in den Tourismusregionen des ländlichen Westens höher, und Integration funktioniert nachweislich in kleineren Einheiten am besten. Eine Wohnsitzauflage, die eine gleichmäßigere Verteilung von Schutzsuchenden auf ganz Österreich bewirkt, wäre daher eine sinnvolle Lösung", so Stöger. Das bedeute, sagt Stöger, dass der zugewiesene Wohnsitz jener Bezirk sei, "in dem die Menschen schon während des Asylverfahrens gelebt haben, dort sind sie schon etwas verwurzelt".
Auch Stadträtin Wehsely plädiert für eine Wohnsitzauflage, hält den "Sogfaktor" der Sozialleistungen Wiens aber für überschätzt. "Es zieht der Großteil der anerkannten Flüchtlinge nach Wien, weil sie sich hier bessere Chancen am Arbeitsmarkt erhoffen. Sollten aber andere Bundesländer dem Beispiel Oberösterreich folgen – die Mindestsicherung rechtswidrig für Asylberechtigte zu kürzen –, würde das den Zuzug nach Wien natürlich verstärken. Eine Wohnsitzauflage könnte hier gegensteuern." (Walter Müller, 11.8.2016)