Am Dienstag wurde das Weltsozialforum in Montreal mit einem Protestmarsch eröffnet. Bis Sonntag werden rund 50.000 Teilnehmer in der kanadischen Stadt erwartet.

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Die 13. Auflage des Weltsozialforums findet derzeit im kanadischen Montreal und somit erstmals in einem Industrieland statt, was zu Problemen im Vorfeld der Veranstaltung geführt hat. Wieso dieser Ort gewählt wurde, und welche Bedeutung dieses Treffen von Globalisierungskritikern 15 Jahre nach dem ersten Forum hat, erklärt Sozialforscher Christian Schröder.

STANDARD: Im Vorfeld des 13. Weltsozialforums gab es viel Kritik. Es ging um hohe Reisekosten, verweigerte Visa und darum, dass dadurch der globale Süden kaum vertreten ist. War der Veranstaltungsort Montreal eine gute Idee?

Schröder: Es gab schon vorab Diskussionen darüber im Internationalen Rat, dem Hauptgremium des Weltsozialforums. Der ursprüngliche Grund für Montreal war, das auch einmal im globalen Norden stattfinden zu lassen. Die kanadische Gruppe Ahorn-Frühling hat sich da sehr engagiert. Das ist eine Studentengruppierung, vergleichbar mit den Occupy-Bewegungen. Der Internationale Rat ist schon etwas veraltet, man wollte jüngere Bewegungen einbinden. Die Probleme jetzt sind sicherlich Argumente dafür, nächstes Mal wieder im Süden zu tagen.

STANDARD: Montreal wurde ja auch gewählt, um ein Signal zur Überwindung des globalen Nord-Süd-Gegensatzes zu setzen.

Schröder: Es gibt viele regionale Sozialforen. Bei der Veranstaltung in den USA wird immer gesagt, dass man auch im Bauch der Bestie arbeiten muss. Und bei Montreal war der Gedanke, den Neoliberalismus im Herzen zu treffen.

STANDARD: Was kann man sich vom 13. Weltsozialforum erwarten?

Schröder: Es gibt erstmals einen eigenen Tag dafür, an konkreten Lösungen zu arbeiten. Das war immer einer der Hauptkritikpunkte, intern und extern, dass viel diskutiert wird, aber keine Lösungsvorschläge präsentiert werden.

STANDARD: Welche Kritikpunkte gibt es noch das Forum betreffend?

Schröder: Dass nur die NGO-Elite sich die Reisen zum Weltsozialforum leisten kann, ist ein weiterer Kritikpunkt. Auch die Finanzierung ist umstritten. Eigentlich wird das von NGOs und Stiftungen getragen, aber oft stecken Parteien dahinter, was eigentlich nicht gewünscht wird. Außerdem kam es in der Vergangenheit oft zu Korruptionsskandalen. Einige sagen auch: Wir sind nicht stark genug, wir müssen aktiver werden, eine Partei gründen, stärkere Statements abgeben. Andere sagen, das ist genau der falsche Weg.

STANDARD: Was hat sich seit dem ersten Weltsozialforum im Jahr 2001 verändert?

Schröder: Es wurde der Internationale Rat gegründet, es gibt viele Arbeitsgruppen, es wurden viele neue Foren für bestimmte Themen gegründet, etwa das Weltforum für freie Medien. Beim letzten Weltsozialforum in Tunis wurde auch eine eigene Charta beschlossen. Und auch von der Thematik her hat sich aufgrund der politischen Weltlage einiges geändert. Einiges ist geblieben, anderes wie Terrorismus oder Internetnutzung ist neu. Es wird also versucht, sich weiterzuentwickeln und gleichzeitig ein offener, freier Raum zu bleiben. Bei aller Kritik ist das ein wichtiges Forum, damit sich Akteure vernetzen.

STANDARD: In Montreal werden etwa 50.000 Teilnehmer erwartet, das ist ungefähr die Hälfte vom letzten Mal. Die Bedeutung scheint also abzunehmen.

Schröder: Francisco Whitaker, einer der Gründer des Weltsozialforums, hat vorgeschlagen, die regionalen Dynamiken zu stärken und weniger Wert auf ein großes Gipfeltreffen zu legen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass das Weltsozialforum eingestellt wird. Teilnehmer haben mir gesagt, dass es viele Treffen gibt, bei denen sich NGOs vernetzen können. Aber nur hier hat man so wenig Druck, etwas entscheiden zu müssen, und so viel Zeit, um in Ruhe an Themen zu arbeiten. (Kim Son Hoang, 12.8.2016)