Nach dem Milzbrand-Ausbruch wurden 40.000 Rentiere geimpft.

Foto: AFP/Russian Emergency Ministry

Zahlreiche Hirten wurden mit Verdacht auf Milzbrand in Krankenhäuser eingeliefert.

Foto: APA/AFP/Russian Emergency Ministry

Die tauenden Permafrostböden bedrohen auch die Lebensgrundlage der nomadisch lebenden Hirten.

Foto: AFP/Russian Emergency Ministry

Moskau/Wien – Der Bericht war in vielen Medien in Europa Mitte August eine Randnotiz: Auf der Jamal-Halbinsel in Nordwestsibirien gab es einen Ausbruch von Milzbrand. Ein zwölfjähriger Bub eines indigenen Nomadenvolkes starb, rund 90 Menschen, mehr als die Hälfte davon Kinder, wurden laut "Siberian Times" mit Verdacht auf Milzbrand in Krankenhäuser eingeliefert. Rund 2.300 Rentiere sind verendet. Die Region wurde unter Quarantäne gestellt. Als Vorsichtsmaßnahme wurden nun insgesamt 40.000 Tiere geimpft. Seit Jahrzehnten war es der erste Fall von Anthrax in Russland. "Wir sind mitten in den Folgen des Klimawandels angekommen", sagt Steffen Nichtenberger von Greenpeace Österreich.

Die Quelle der Verbreitung des sporenbildenden Milzbrandbakteriums erinnert an den Plot eines Horrorfilms: Es soll sich um den Kadaver eines Rentiers handeln, der 75 Jahre lang eingefroren war. Durch ungewöhnlich hohe Temperaturen taut der Permafrostboden in der Region auf. Die Sporen können eingefroren über Jahrzehnte überleben. Die "Siberian Times" titelte, dass es sich um einen "Zombie-Anthrax-Ausbruch" in Russland handle.

Andere Quellen identifizierten als Infektionsherd einen historischen Friedhof der Nenzen, des indigenen Volks der Region. Da die Böden vor Jahrzehnten noch gefroren waren, wurden die Verstorbenen traditionell in Holzsärgen bestattet, die nicht vergraben wurden. Grasende Rentiere könnten sich dadurch infiziert haben.

Lebensgrundlage bedroht

Der Klimawandel bedroht zudem die wirtschaftliche Grundlage der Hirten. Die Nomaden legen pro Jahr hunderte Kilometer zurück, um optimale Bedingungen für ihr Vieh zu finden. Auf den harten Permafrostböden sind die Herden schneller und mobiler. Im Schlamm und Matsch der auftauenden Böden ist es schwieriger, von einer Futterweide zur nächsten zu wandern.

Russland liegt etwa zur Hälfte in der Permafrostzone. Insgesamt wird weltweit bis zu ein Viertel der Landfläche dieser Zone zugeordnet. Eine Schmelze, die in vielen Regionen zu beobachten ist, ist für die Umwelt höchst problematisch, berichtet Nichtenberger: "Zum einen ist im Boden Methan eingeschlossen, das laut einer Studie des UN-Klimarats 25-mal so klimaaktiv wie CO2 ist – das heißt, der Klimawandel wird noch einmal verstärkt. Zum anderen ist Kohlenstoff im Boden als Biomasse gebunden." Er weist noch auf einen weiteren Katalysator hin, der die Erderwärmung beschleunigt: "Solange die Oberflächen mit Eis bedeckt sind, wird die Sonne reflektiert. Das Land erwärmt sich nicht so schnell." Ein aufgetauter Boden heizt sich also noch schneller auf.

Die Auswirkungen lassen sich in manchen Gebieten im Norden Russlands mit freiem Auge erkennen, da sich ganze Landstriche verändern. Der Boden sinkt ab, wenn das gefrorene Wasser taut und an Volumen verliert. Das eingeschlossene Gas entweicht und erzeugt Löcher im Erdreich. Es bildet sich eine Kraterlandschaft. Nicht nur an Land, sondern auch im Meer sorgt das in Russland für Veränderungen: Der submarine Permafrost vor der russischen Küste taut durch den Zufluss warmen Wassers auf.

Muren in den Alpen

In Österreich ist das Phänomen vor allem in der Alpenregion zu beobachten. Der Permafrost taut, Steinschläge und Murenabgänge nehmen zu. Zum Teil setzen sich ganze Berghänge in Bewegung.

Laut einer vielzitierten Studie des University College London von 2015 müssen 80 Prozent der Kohle-, 50 Prozent der Gas- und 30 Prozent der Ölreserven im Boden bleiben, damit die in Paris fixierten Ziele einer Erderwärmung unter zwei Grad Celsius erreicht werden. Für den Greenpeace-Experten sind die Ereignisse in Russland ein weiterer Auftrag an die Politik: "Es gibt keine Alternativen zu einem konsequenten Ausstieg aus fossilen Energieträgern." (Julia Schilly, 19.8.2016)