Da steht er, der Angler; mitten auf einem Kreisverkehr vor Navarrenx. Mehr als fünf Meter hoch, ganz aus Edelstahl, einen fast drei Meter langen Brocken am Haken. Doch abgesehen von dieser Skulptur ist in der Hauptstadt der Lachse vom König der Fische nichts zu sehen. Keine Fassadenmalerei, kein Restaurant "Zum Goldenen Lachs", nicht einmal auf den handgeschriebenen Menütafeln vor den Bistrots taucht einer auf. Eine Stadt wie jede andere. Oder nicht einmal eine Stadt: Navarrenx hat tausend Einwohner und verschanzt sich hinter einer dicken Stadtmauer, die der König von Navarra im 16. Jahrhundert errichten ließ. Einst die wehrhafteste Stadt der Region Béarn, ist es heute eines der schönsten Dörfer Frankreichs, dem bei gutem Wetter die imposante Pyrenäenkette den Rücken stärkt.

300 Kilogramm Edelstahl hat ein Künstler aus der Region für die riesige Statue "Lachsfischer" auf einem Kreisverkehr vor Navarrenx verarbeitet.
Foto: Florian Schuh

Statt Lachsen begegnet einem in den Gassen etwas anderes aus der Wasserwelt: Muscheln. Sie hängen neben Haustüren, baumeln an Hälsen und Rucksäcken von Wanderern. Navarrenx liegt an einer der Hauptrouten des Jakobswegs. 15.000 Pilger sollen es im Jahr sein. Da fallen die knapp 1.000 Lachsfischer kaum auf. Einst war der Gave d’Oloron der beliebteste Fluss für diese Leidenschaft in Europa. Viele Briten kamen ins Béarn, warfen hier ihre Angeln nach den silbrig glänzenden Leibern aus, die über einen Meter lang und viele Kilogramm schwer sein können. Der Fischreichtum des klaren und schnell fließenden Pyrenäenflusses war legendär.

Navarrenx im Département Pyrénées-Atlantiques wird heute vor allem von Jakobswegpilgern besucht.
Foto: WikiCommons/Jaume

Wer die heutigen Angler treffen will, muss am ehesten zum Pool Masseys, wird einem erzählt. Der liegt gleich unterhalb des Ortes, ein wenig versteckt. Doch wer für den Lachs kommt, der kennt sich aus oder lässt sich von Insidern weisen. Pools nennt man die Stellen im Fluss, in denen das Wasser zwischen zwei Stromschnellen fast zum Stehen kommt und wo die Wanderfische verweilen. 160 Pools hat der Gave – perfekte Orte, um einen Lachs an die Angel zu bekommen. Zu Stoßzeiten kann es sein, dass an jeder Seite zwanzig Angler warten und sich Versessene schon nachts um vier einen guten Platz suchen.

Kein Fisch ohne Marke

Heute ist nichts los, die Frühaufsteher sind schon weg. Und Gabriel Peyras, ein passionierter Lachsfischer aus der Region packt gerade sein Equipment zusammen. Nein, gefangen hat er nichts. Niemand hier und heute. Wie zum Beweis zieht er eine ungenutzte, farbige Plastikbanderole aus der Brusttasche. Damit werden die gefangenen Exemplare markiert und später beim nächsten Fischwart deklariert. Bevor der Fisch nicht die Marke hinter den Kiemen oder am Schwanz hat, darf man ihn nicht mitnehmen. Denn jeder bekommt nur das Fangrecht für vier Lachse, ab kommendem Jahr sogar nur für drei.

Der Fluss Gave d’Oloron galt einst als der beliebteste Fluss der Lachsfischer in Europa.
Foto: WikiCommons/Sebb

Vor dreißig oder vierzig Jahren, erinnert sich der Pensionist, habe es viel mehr Lachse gegeben. Viele der Herbergen hätten nur von den Fischern gelebt. "Damals sind auch noch ausschließlich richtige Angler an den Fluss gekommen. Nicht Touristen, die ein Mal etwas fangen und sich dann betrinken."

Als Lachs müsste man von hier in Richtung der Laichplätze hinter Sainte Marie d’Oloron erst einmal die Fischtreppe hinauf, ein paar Rechts- und Linkskurven schwimmen, um dann im zweitbekanntesten Pool, dem Bac d’Aren zu pausieren. Hier versuchen im Moment zwei Freunde ihr Glück. Aber aussichtsreich ist das nicht, denn sie fischen im Trüben – vielleicht wegen des letzten Regens, vielleicht weil weiter oben an einer Brücke gearbeitet wird.

Ein kurzes Video über die Lachse im Gave d'Oloron – naturellement en français.
BEARNDESGAVES

Daniel Thouillon kommt aus der Bourgogne hierher und bleibt mit seiner Frau zusammen oft wochenlang. Die viele Erfahrung sieht man am eleganten Schwung und der Reichweite beim Fliegenfischen. In der Mitte des Flusses wirft er die Angel in perfekten Bögen aus, holt sie ruhig wieder ein, schreitet weiter. Immer wieder dieses Sirren, ansonsten Stille. Die Saison ist in wenigen Tagen zu Ende, und er hat noch keinen Lachs gefangen, obwohl es so viele gab wie lange nicht mehr. Wenn es ihn grämt, so zeigt er es nicht: "Es kann ganz leicht und ganz schwer sein." Auch das gehört zur Faszination für diesen Fisch. 536 Lachse wurden 2015 im Département gefangen, davon 489 im Gave d’Oloron. Rund fünfzig weitere hat man laut der beliebter werdenden Philosophie "No kill" wieder in den Fluss und ins Leben zurückgeworfen – nachdem das Anglerglück ausgekostet und das Beweisfoto gemacht wurde.

Der atlantische Lachs legt enorme Strecken zurück, um zu seinem Geburtsort zurückzukehren.
Foto: WikiCommons/Hartley, William W. - U.S. Fish & Wildlife Service

Gerade rollt ein alter Mercedes mit auf der Kühlerhaube angebrachtem Angelhalter heran: Jean Roig ist schon viel herumgekommen für den Lachs. Letztes Jahr war er mit Auto und Angel in Lappland. Manche Freundschaften hat er mitgenommen. Etwa die zu den drei Flugzeugingenieuren Mitte dreißig aus dem Norden von Paris, die er in Schottland kennenlernte, als sie noch Forellen nachstellten. Er hat sie sowohl auf den Lachs gebracht als auch an die Gave d’Oloron, den heimischen Lachsfluss, der laut Jean einer der zehn schönsten Flüsse der Welt ist. Jetzt soll es zur Saison gehen, dem Nebenfluss der Gave, wo das Wasser heute klarer ist. Jean liebt das Fahren, das Suchen der Stellen und lässt sich nach vierzig Jahren an diesem Fluss noch immer überraschen.

Hotline für frischen Fang

Wer Anglerglück hat, kommt danach meist in die kleine Taverne in St. Martin, wo Patrick Balesta der Fischwart ist. Aber eben auch Restaurant- und Barbesitzer sowie Bürgermeister in Personalunion. "Um einen Lachs zu deklarieren, rufen Sie mich an unter ..." steht auf einem laminierten Papier mitten auf der Eingangstür, dazu die Mobilnummer. Rund 170 Lachse hat der Fischwart in diesem Jahr schon deklariert, er zeigt die handschriftliche Liste – die meisten wogen zwischen fünf und sechs Kilo, ausnahmsweise auch sieben bis neun. "Der Lachs ist für alle Fischer eine Faszination", sagt der Endfünfziger und beschreibt das Strahlen im Gesicht derer, die zu ihm kommen. In der Bar reihen sich Pinnwände mit Fotos aneinander. Auf den meisten hält ein Angler einen Fisch quer vor sich auf den Armen. Ein Lachs von 1962 ist abgebildet, mit Gewichtsangabe: Er wog 18,2 Kilogramm. Diese goldenen Zeiten sind längst vorbei.

Der Wert des Flusses

Dem Bestand gehe es nicht gut, selbst wenn dieses Jahr als besonders fischreich heraussticht. Das ist voll und ganz Patrick Balestas Thema, der gleich klarstellt, er sei bestimmt kein Öko, liebe aber die Natur: "Man hat es nach dem Zweiten Weltkrieg nicht verstanden, den Wert des Flusses zu erhalten." Industrialisierte Landwirtschaft, die Wasserwerke, die Begradigungen.

Mittlerweile wurden viele Barrikaden in der Gave d’Oloron wieder abgebaut, der Flussboden wurde renaturiert.
Foto: WikiCommons/Traumrune

Inzwischen wird vieles rückgängig gemacht, Barrikaden abgebaut, der Flussboden renaturiert. Man verkleinert die Maschenweite der Gitter vor den Wasserwerkturbinen, damit weniger Fische hineingeraten. Ein großes Pro blem ist die Fischerei an der Mündung. Man sagt, es werde dort sogar mit verbotenen Treibnetzen gefangen. Balesta schätzt, dass so 3.000 bis 4.000 Wildlachse jährlich gefangen werden.

Nach drei Tagen an der Gave d’Oloron hat man viel erfahren, aber keinen einzigen Lachs am Haken oder im Wasser vorbeiflitzen sehen. Um den Glücklosen einen zu zeigen, greift einer der Angler am Campingplatz in seine Tiefkühltruhe. Wenigstens fischt er kein in Plastik eingeschweißtes Filet heraus, sondern ein selbst gefangenes kapitales Tier, den König der Fische in Schockstarre. Zwischengelagert, bevor er im Garten auf den Grill kommt und eine ganze Großfamilie sattmacht.

In den lebhaften Erzählungen des Anglers wird der Lachs an diesem Tag noch einmal lebendig. Vielleicht sollte man das als Trost für alle No-kill-Anhänger gelten lassen. (Anja Martin, 14.8.2016)