SPÖ und ÖVP haben im Streit um die Mindestsicherung ja doch etwas gemeinsam. Wortführer beider Seiten werfen Vorschläge in die Debatte, für die ihnen Rückhalt in den eigenen Reihen fehlt. Seit Monaten geht der schwarze Klubchef Reinhold Lopatka mit seiner 1500-Euro-Grenze hausieren, kann aber nicht einmal die Parteifreunde im Westen davon überzeugen. Ein ähnliches Schicksal widerfährt einer Lieblingsidee von Sozialminister Alois Stöger: Gegen eine Wohnsitzauflage für Flüchtlinge regt sich in der SPÖ Widerstand.

Dass sich gerade Ländervertreter sträuben, hat wohl nicht zuletzt egoistische Gründe. Für sie ist es bequem und billig, dass die Hälfte der Menschen, die in Österreich Asyl bekommen, ihr Heil in Wien sucht und dort die Kosten für die Sozialhilfe nach oben treibt. Genau diesen Andrang in die Metropole verspricht die Wohnsitzpflicht zu beenden: Solange Flüchtlinge von der Mindestsicherung abhängig sind, soll ihnen ein konkreter Bezirk als Domizil vorgeschrieben werden. Geht es nach Stöger, dann sollen die Asylberechtigten einfach dort bleiben, wo sie bereits vor Abschluss ihres Verfahrens gelebt haben.

Die groben Zahlen sprechen für den Vorschlag. Die Arbeitslosenquote ist in Wien doppelt so hoch wie in Salzburg, Vorarlberg oder Oberösterreich, vor allem die Tourismusbranche könnte Flüchtlinge einsetzen, statt Zusatzkräfte im Ausland zu rekrutieren. Doch die Realität ist nicht so simpel wie des Ministers Modell. Nicht überall bietet der Fremdenverkehr Jobchancen, eine undifferenzierte Verteilung würde für Asylberechtigte zum Glücksspiel. Ein Koch mag in Schladming oder Zell am See das große Los gezogen haben; in Zwettl und Umgebung sieht das ganz anders aus.

Wenn schon Wohnsitzpflicht, dann müsste die Ansiedlung gezielt nach Qualifikation erfolgen, sonst landet die falsche Person am falschen Ort. Aber selbst dieses aufwendige Modell würde bei flächendeckender Anwendung viele Menschen an Orten festnageln, an denen sie kaum Jobchancen haben. Aus Regionen wie dem Waldviertel und der Obersteiermark ziehen auch viele Österreicher weg, leider aus plausiblen Gründen. Die Stadt bietet eben trotz aller kumulierter sozialer Probleme zumindest eine Perspektive auf Aufstieg.

Die Wohnsitzpflicht würde Flüchtlinge zudem eines Sicherheitsnetzes berauben. Viele gehen auch deshalb in die Großstadt, weil sie dort Hilfe von der ansässigen Community bekommen – etwa bei der schwierigen Wohnungssuche nach der Entlassung aus staatlicher Grundversorgung. Asylberechtigte kommen bei Landsleuten unter, borgen sich Geld. In Kleinstädten und Dörfern sind günstige Unterkünfte zwar mitunter leichter zu finden, doch das gilt oft wieder nur für Gegenden, in denen Arbeitsplätze rar sind.

Trotz dieser Einwände: Die von Stöger forcierte Debatte sollte geführt werden, zumal andere Versuche, eine gleichmäßigere Verteilung der Flüchtlinge zu erreichen, bisher offenbar nicht gefruchtet haben. Viel hängt davon ab, wie differenziert das konkrete Modell gestaltet ist – es macht etwa einen Unterschied, ob der Staat eine Familie zum Leben auf dem Land vergattert oder einen einzelnen jungen Mann, der das als Zwangsanhaltung im Nirgendwo begreifen wird. Vor Illusionen sei aber gewarnt: Eine Wohnsitzauflage würde jedenfalls Verlierer produzieren. Was sich für manche Flüchtlinge als Hilfe entpuppen kann, wird für andere eine Hürde sein. (Gerald John, 12.8.2016)