Die ukrainische Regierung hat nach den jüngsten Spannungen Truppen bei Donezk zusammengezogen.

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STANDARD: Wir erleben dieser Tage rund um die Krim die schwerste Krise seit der Annexion. Der russische Geheimdienst sagt, auf der Krim Anschläge des ukrainischen Militärdienstes vereitelt zu haben. Kiew macht dagegen Moskau selbst für die Zusammenstöße verantwortlich. Wie sehen Sie die Lage?

Klimkin: Wir wissen nicht, ob das eine geplante russische Aktion oder nur ein Zwischenfall war. Es könnte der Versuch sein, intern zu mobilisieren: Bald wird es in Russland Parlamentswahlen geben, die Stimmung auf der Krim ist schlecht. Vielleicht will sich Russland damit aber auch dem Friedensprozess verweigern und auf Zeit spielen. Wir wissen nicht genau, was die russische Taktik ist, aber sie ist sehr gefährlich.

STANDARD: Können Sie denn ausschließen, dass ukrainische Streitkräfte oder Aktivisten involviert waren?

Klimkin: Welchen Sinn hätte denn eine derartige Aktion für die Ukraine, um die Krim zurückzuholen? Das werden wir mit politischen Mitteln, mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft und den Sanktionen erreichen. Wir haben auch ein "Genf Plus"-Format vorgeschlagen, um über die Krim zu sprechen. Natürlich sind wir nicht so naiv, zu glauben, dass sich Russland morgen mit uns an einen Tisch setzt, um den Status der Krim zu diskutieren. Aber es gibt viele drängende Fragen: die Menschenrechte auf der Krim, die Präsenz von internationalen Organisationen, für die wir uns einsetzen, die Luft- und Seekontrolle. Diese Probleme werden wir nicht ohne ein derartiges Format lösen können.

STANDARD: Präsident Petro Poroschenko hat die Truppen in Gefechtsbereitschaft versetzt. Welche konkreten Hinweise gibt es dafür?

Klimkin: Russland beschuldigt uns, die administrative Grenze zur besetzten Krim beschossen zu haben. Aber wie soll der Einsatz von Artillerie unbemerkt bleiben, von Satelliten, von Anrainern? Sie selbst haben auf der Krim bis zu 50.000 Soldaten stationiert. Sie können uns jederzeit für eine Provokation verantwortlich machen und dann attackieren. Alles ist möglich. Es bereitet uns große Sorge, dass Russland offensichtlich versucht, den Einsatz weiter zu erhöhen. Wir müssen auf jede Situation vorbereitet sein.

STANDARD: Wie geht es mit dem Minsker Friedensplan weiter?

Klimkin: Leider hat Moskau ganz andere Vorstellungen von Minsk als andere Parteien. Die Idee von Russland ist es, ich will nicht sagen, Minsk zu torpedieren, aber zumindest das zu legitimieren, was sie im Donbass geschaffen haben: eine Art russisches Protektorat. Und gerade jetzt versucht Russland, unsere Truppen zu provozieren und die Lage zu destabilisieren, indem es die Lage im Donbass anheizt. Wir wissen, dass Russland wieder tausende Soldaten in der Nähe der ukrainisch-russischen Grenze zusammengezogen hat.

STANDARD: Aber trägt Kiew mit der Mobilisierung der Truppen in der Ostukraine – wo der Beschuss auf beiden Seiten ja nie wirklich aufgehört hat – nicht gerade selbst dazu bei, Minsk endgültig zu Grabe zu tragen?

Klimkin: Wir müssen bereit sein, uns zu verteidigen, aber wir stehen voll und ganz hinter Minsk. Ein richtiger Waffenstillstand und Abzug der Truppen, unter internationalem Druck. Die Kontrolle der ukrainisch-russischen Grenze. Freie und faire Wahlen, unter Aufsicht der OSZE. Das ist der Kern unseres Friedensplans.

STANDARD: Wie ernst nehmen Sie die Aussage des russischen Präsidenten, angesichts der Lage sei es sinnlos, im Normandie-Format weiterzuverhandeln? Wird es das nächste planmäßige Treffen im September geben?

Klimkin: Darüber kann ich jetzt nicht spekulieren. Wir sind jedenfalls bereit. Aber es sollte ein verbindlicher Versuch aller Seiten sein, den Donbass zu befrieden.

STANDARD: Russland droht indes, die diplomatischen Beziehungen zur Ukraine abzubrechen.

Klimkin: Wir unterhalten diplomatische Beziehungen trotz der russischen Aggression. Wir haben Millionen von Ukrainern in Russland, um die wir uns kümmern müssen. Wenn Russland so entscheidet, dann ist das seine Verantwortung.

STANDARD: Zuletzt gab es in der EU Diskussionen, die Sanktionen gegen Russland schrittweise zu lockern. Wie sehen Sie das?

Klimkin: Sanktionen sind keine Strategie, sondern ein Instrument, um Russland dazu zu bringen, die Punkte des Minsker Friedensabkommens umzusetzen und die Aggression gegen die Ukraine zu stoppen. Sobald Russland seine Soldaten und Waffen aus der Ostukraine abgezogen hat, habe ich nichts dagegen, dass die Sanktionen fallen. Bei einer schrittweisen Lockerung wird Russland hingegen wenig Anreiz haben, zu liefern. Russland führt ja auch gegen Europa einen hybriden Krieg und versucht, die EU zu fragmentieren und zu schwächen. Es geht nicht nur um den Donbass, nicht nur um die Ukraine, sondern um Europa.

STANDARD: Vor zwei Jahren haben Sie davon gesprochen, die Ukraine könnte in fünf Jahren einen EU-Mitgliedsantrag stellen. Sind Sie heute noch so optimistisch?

Klimkin: Wir müssen viele Herausforderungen bewältigen, wie etwa die russische Aggression. Aber wenn wir Schlüsselreformen mit dem EU-Assoziierungsabkommen umsetzen, dann wird sich die Ukraine aus einem postsowjetischen in ein europäisches Land verwandeln. Das wird nicht in einem Jahr passieren, aber auch nicht Generationen dauern. Ich bin optimistisch, dass es in einigen Jahren so weit sein könnte. (Simone Brunner, 16.8.2016)