Am Montag sind auf der Krim zwei weitere Männer festgenommen worden, die vom russischen Geheimdienst FSB der versuchten Sabotage beschuldigt werden. Derzeit befinden sich neun Personen in Haft. Zwei von ihnen wurden von einem Gericht in Simferopol bereits zur Untersuchungshaft verdonnert: Bei den Verdächtigen handelt es sich um einen 45-jährigen Bewohner der Krim und einen 39-Jährigen aus dem ostukrainischen Gebiet Saporoschje, dessen Videogeständnis über eine von Kiew geplante Anschlagsserie auf der Krim der FSB schon veröffentlicht hat. Kiew streitet jede Beteiligung ab.

Die Spekulationen über Sabotageakte auf der vor zwei Jahren von Russland angeschlossenen Halbinsel lassen die Wellen auch eine Woche nach dem Zwischenfall in Moskau und Kiew hochschlagen. Beide Seiten haben militärisch reagiert, Streitkräfte verstärkt und in erhöhte Bereitschaft versetzt. Auf der Krim wurde nun zusätzlich das modernste russische Luftabwehrsystem S-400 aufgestellt. Die Truppenkonzentration erhöht den Grad der Nervosität auf beiden Seiten der nicht erklärten Front. Objektiv ist die Gefahr eines offenen Zusammenstoßes deutlich gewachsen, zumal die Hintergründe der vermeintlichen Agentenaffäre immer noch reichlich verworren sind. Die von beiden Seiten gelieferten Interpretationen – vielmehr Beschuldigungen – lassen sich nicht in ein rationales Erklärungsmuster fügen.

Rationale Erklärung fehlt

Moskaus Version, Kiew habe mit einer Serie kleiner Attentate die Urlaubssaison auf der Krim "sprengen" wollen, ist unlogisch, da die Ferienzeit fast vorbei ist. Anschläge gegen Militärobjekte, wie später als Vorwurf hinzukam, müssten aber unweigerlich eine russische Reaktion nach sich ziehen. Einen offenen Krieg mit Russland zu provozieren – und dabei potenziell noch als Schuldiger dazustehen -, kann sich die Ukraine nicht leisten; zu groß ist das Ungleichgewicht der Kräfte.

Genauso hinkt Kiews Version einer russischen "Gleiwitz-Aktion", schon allein deshalb, weil Russland sie nicht als Vorwand zum unmittelbaren Losschlagen nutzte. Wladimir Putin beschränkte sich auf das Einfrieren der Normandie-Verhandlungen und den drohenden Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Der Kiewer Politologe Wladimir Fesenko vermutet daher radikale ukrainische Nationalisten oder den Krimtataren Lenur Isljamow hinter den Saboteuren.

Stärkung radikaler Kräfte

Die Auswirkungen auf den Friedensprozess in der Ostukraine sind womöglich fatal: Minsker Abkommen und Normandie-Format brachten zuletzt wenig Fortschritte, verhinderten aber eine noch stärkere Erosion der labilen Waffenruhe. Das ohnehin geringe Vertrauen zwischen Kiew und Moskau wird durch den Vorfall weiter zerstört.

Radikale Kräfte mit ihrer Vision einer militärischen Lösung des Konflikts dürften sich nun gestärkt fühlen. Russische Medien berichteten bereits, Moskau erwäge, keinen Druck mehr auf die Rebellen auszuüben, sich an das Abkommen zu halten.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow beruhigte am Montag seinen deutschen Kollegen Frank-Walter Steinmeier mit der Versicherung, Russland werde auch weiterhin alles tun, um den Friedensprozess aufrechtzuerhalten. Zugleich bekräftigte er die Vorwürfe gegen Kiew, die jüngste Eskalation herbeigeführt zu haben. Russland werde für die Beteiligung der Ukraine an der geplanten Sabotage "unwiderlegbare Beweise" liefern, sagte er. (André Ballin aus Moskau, 15.8.2016)