Auch heute stehen Krankenschwestern und -pfleger auf der Liste der Mangelberufe. Um die Personallücke zu schließen, wird auch aktiv ausländisches Gesundheitspersonal ins Land geholt.

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Die Top-10-Zielländer philippinischer Migranten.

Quelle: Country Migration Report (CMR) der International Organization for Migration (IOM) (2013)

Neuanstellung von philippinischen Krankenschwestern im Ausland und Menschen philippinischer Herkunft in Österreich

Quellen: Commission on Filipinos Overseas, Statistik Austria

Pflegekräfte in Spitälern der Stadt Wien nach Nationalität.

Foto: Quelle: Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV)

Wien – Die Ausbildung zur Krankenschwester galt als Ticket in die weite Welt. Als Manuela Jarabe 1982 ihr Pflegestudium auf den Philippinen bestanden hatte, stieg sie in einen Flieger nach Wien. Nur eine Woche später erhielt die damals 23-Jährige eine Stelle im Allgemeinen Krankenhaus. Am Wiener AKH arbeitet sie noch heute. In drei Jahren wird Jarabe in Pension gehen. Bis dahin werden auch die letzten ihrer Kolleginnen im Ruhestand sein, die unter dem allerersten Schwung philippinischer Pflegekräfte bereits in den 1970er-Jahren nach Österreich gezogen waren.

Damals herrschte hier ein eklatanter Pflegekräftemangel. Auch heute stehen Krankenschwestern und -pfleger auf der Liste der Mangelberufe. Damals, lange vor Bestehen der Wirtschaftsunion EU in ihrer heutigen Form, füllte man die Personallücke an den Spitalsbetten, indem aktiv ausländisches Gesundheitspersonal ins Land geholt wurde.

1973 schloss die Stadt Wien mit den Philippinen ein Abkommen ab, um den Zuzug philippinischer Krankenschwestern anzukurbeln. Als das Abkommen 1985 auslief, waren rund 400 Krankenschwestern nach Österreich gekommen.

"Der Bürgermeister hat die ersten Krankenschwestern am Flughafen begrüßt", schildert Sonja Riepl, die das aus Erzählungen weiß. Die heutige Pflegedirektorin am Kaiser-Franz-Josef-Spital (KFJ) des Wiener Krankenanstaltenverbunds (KAV) absolvierte ihre Ausbildung in den 1980er-Jahren bei einer Kollegin, die als eine der allerersten von den Philippinen geholten Pflegekräfte in Wien-Schwechat landete.

Anpassungsfähig und flexibel

Von der österreichischen Kost, Grillhendl und Schwarzbrot, seien die philippinischen Kolleginnen sehr irritiert gewesen, erzählt Riepl. Im Allgemeinen galten und gelten sie aber als anpassungsfähig und flexibel. "Ich habe sie aus meiner Anfangszeit außerdem als kompetent und sehr stressresistent in Erinnerung", sagt Riepl. Etwas Deutsch hätten sie schon in der Heimat gelernt. Manuela Jarabe ist überzeugt: "Die Krankenhäuser auf der ganzen Welt wollen Philippinen, weil wir Arbeitsbienen sind – das ist in uns drinnen."

Den philippinischen Pflegekräften wird auch nachgesagt, dass sie "nie krank werden". Ding Maristella ist ein gutes Beispiel dafür. Der 48-jährige Diplomkrankenpfleger sagt, er habe sich in seiner Arbeitslaufbahn, die 1991 in Wien-Hietzing begann, nur ein einziges Mal krankgemeldet. "Damals wurden mir die Weisheitszähne gezogen, und ich musste mir erst einen Hausarzt suchen, weil ich nie einen gebraucht hatte", sagt der Pfleger.

Vor 25 Jahren besuchte er in Deutschland lebende Verwandte – die im Übrigen fast ausnahmslos im Gesundheitsbereich arbeiteten –, und wollte bei dieser Gelegenheit auch einen Abstecher nach Wien machen, um die Stadt zu besichtigen. Nur versuchshalber stellte sich der medizinisch-technische Assistent einem Deutschtest, der für eine Tätigkeit an einem Wiener Spital Voraussetzung war. An jenem Tag, an dem sein Touristenvisum ablief, hatte er einen Job in der Tasche.

"Die fragten mich gleich, wo ich anfangen will, und zählten verschiedene Krankenhäuser auf. Ich kannte keines davon, keinen Bezirk, gar nichts. Einer der Namen war Lainz (das heutige Krankenhaus Hietzing, Anm). Das war schön kurz, das konnte ich mir merken, also sagte ich: Lainz." Maristella heuerte an der onkologischen Abteilung als Pflegehelfer an, inzwischen ist er diplomierter Krankenpfleger samt Zusatzausbildungen. Er arbeitet noch immer im selben Spital an derselben Abteilung.

"Sehr gut ausgebildet"

Die philippinische Pflegeausbildung genießt international einen guten Ruf. In Wien war es damals nicht üblich, dass man in der Schwesternschule Blutabnehmen lernt, auf den Philippinen sehr wohl. "Das hat mir eine philippinische Kollegin beigebracht", erinnert sich die KAV-Pflegedirektorin Riepl.

Während die Krankenschwesternschule in Österreich nach drei Jahren mit einem Diplom abschließt und dafür keine Matura vorausgesetzt wurde, sah der Weg in die Pflege auf den Philippinen schon vor 40 Jahren eine Hochschulausbildung vor. Absolventinnen erhielten nach fünf Jahren Studium – inzwischen sind es vier – einen Bachelortitel. "Es ist eine sehr gute Ausbildung", sagt Manuela Jarabe über den philippinischen Weg. Sie habe auch Tätigkeiten der Ärzte erlernt, für die Krankenschwestern und -pfleger in Wien erst seit kurzem zuständig sind.

Im Juli 2016 beschloss der österreichische Nationalrat eine Reform der Krankenpflegeausbildung. Künftig sollen verschieden lange ausgebildete Arbeitskräfte die Betreuung Kranker im Spital übernehmen. Statt eines Diploms schließen die gehobenen Pflegefachkräfte ihre Ausbildung künftig ebenfalls mit einem Studium – hier an der Fachhochschule – ab.

Auf den Philippinen arbeiten Krankenschwestern an der Seite der Ärzte, für die Pflege der Patienten – wie zum Beispiel die Körperhygiene – sind die Angehörigen zuständig. Jarabes erste Wochen in ihrem Wiener Job waren daher auch "ein Schock. Ich hatte in der Ausbildung nur einmal mit einer Puppe den Umgang mit der Bettschüssel geübt", sagt Jarabe. Nun gehörte dies zu ihren täglichen Aufgaben.

Hohe Kosten, viele Arbeitslose

Wie es zu der Auswanderungswelle des gut ausgebildeten Gesundheitspersonals von den Philippinen kam, beleuchtet die Diplomarbeit "Die Migration philippinischer KrankenpflegerInnen nach Österreich ab den 1970er Jahren", die 2010 an der Uni Wien verfasst wurde.

Darin beschreibt Birgit Kirnbauer, wie in den 70er-Jahren die Lebenserhaltungskosten sowie die Arbeitslosenzahlen auf den Philippinen als Folge der Ölkrise stiegen, was eine Auswanderungswelle nach Saudi-Arabien, Kuwait und in die Vereinigten Arabischen Emirate, aber auch Europa zur Folge hatte. 1974 stellte der damalige philippinische Präsident Marcos die Emigration mit dem "Overseas Employment Program" auf organisierte Beine. Seither gibt es Agenturen, die Auswanderungswillige unterstützen.

1983 wurden die arbeitenden Auslandsphilippiner dazu verpflichtet, große Teile ihres Monatseinkommens an ihre Familien im Heimatland zu überweisen. Auch in den darauffolgenden Jahren förderten philippinische Machthaber die Arbeitsmigration, da die Überweisungen aus dem Ausland die Wirtschaft im Land ankurbelten. Allerdings war es für Österreich nicht länger nötig, philippinische Krankenpflegerinnen anzuheuern, als das bilaterale Abkommen 1985 auslief.

Zweite Familie

Fern der Heimat suchen die Philippiner Kontakt zu anderen Landsleuten. Manuela Jarabe lernte in Wien ihren Mann auf einer Party kennen – auch er ist Philippiner. Die Community ist in vielen Vereinen organisiert. Als Dachorganisation fungiert das Council of Filippinos in Austria, das in seiner Arbeit von der philippinischen Botschaft unterstützt wird. Unter anderem organisiert es Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag der Philippinen am 11. Juni.

Gleichzeitig betrachten viele Philippiner, so sieht es zumindest Sonja Riepl, die Kollegenschaft im Krankenhaus auch als eine Art zweite Familie. "Zu den Wochenenddiensten brachten die philippinischen Kolleginnen immer für alle Glasnudeln im Tupperware mit", schildert die Pflegedirektorin.

Der Wiener Krankenanstaltenverbund zählt heute rund 300 Mitarbeiter philippinischer Herkunft und genau 74 mit philippinischer Staatsbürgerschaft, von denen nicht ganz die Hälfte in der Pflege arbeitet. Der rund 11.000 Mitarbeiter umfassende Pflegebereich des KAV ist seit den Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts "bunter geworden", wie Riepl sagt.

Allein im KAV sind im Pflegebereich Personen aus 58 verschiedenen Staaten vertreten. Die größte Zahl machen Österreicher aus – zum Teil mit Migrationshintergrund. Die meisten Mitarbeiter anderer Nationen sind Slowaken (255), 199 sind Deutsche und 169 Polen. In der Betreuung älterer Menschen zu Hause sind übrigens vorrangig Slowakinnen sowie Rumäninnen beschäftigt.

Manuela Jarabe und Ding Maristella, längst österreichische Staatsbürger, fliegen alle paar Jahre auf die Philippinen. "Ich liebe Wien", sagt Maristella. "Ich liebe die Kultur hier", sagt Manuela Jarabe. Doch die beiden unterstützen auch Menschen in ihrem Heimatland. Jarabe schickte ihren Eltern Geld, solange sie lebten. Jetzt unterstützen sie und ihr Mann Kinder aus armen Familien, die ins Gymnasium gehen. Heuer sind es fünf an der Zahl.

Außerdem helfen Maristella und Jarabe Künstlern ihres Herkunftslands, nach Österreich zu kommen. Sie organisieren Aufenthalt und Verpflegung, damit diese hier ihre Werke ausstellen können.

"Heute keine Chance mehr"

In die österreichische Pflege wandert kein philippinisches Krankenhauspersonal mehr ein. "Heute hat man keine Chance mehr, jemanden zu holen", sagt Virginia Radl, Präsidentin der Philippine Nurses Association Österreich. In London habe eine philippinische Krankenschwester hingegen gerade jetzt sehr gute Chancen. Dort würden gerade dringend Spitalspflegekräfte gebraucht.

Ding Maristella hatte während seiner Zeit in Wien auch ein Angebot, nach Großbritannien zu gehen. Er empfand die Lebensqualität in Österreich aber als besser – und blieb. Jarabe hatte kurz mit einem Angebot in den USA geliebäugelt. Die Vereinigten Staaten sind eines der Top-Ten-Zielländer philippinischer Auswanderer. Mehr als 3,5 Millionen Philippiner wanderten bis dato in die USA aus. Insgesamt sind mindestens acht Millionen Philippiner emigriert – das Land zählt gut 100 Millionen Einwohner.

Jarabes Kinder sind in Österreich fest verwurzelt – und sie haben andere Berufswünsche als ihre Mutter. Die Philippinen, so sagt Jarabe, "sind für sie ein Urlaubsland". Doch auch KFJ-Pflegedirektorin Sonja Riepl lernt manchmal Kinder ehemaliger Arbeitskolleginnen und -kollegen kennen. "Einige kommen sich jetzt bei mir bewerben", erzählt sie – als Krankenschwestern oder -pfleger. (Gudrun Springer, CURE, 12.1.2017)