Dominik hat einen österreichischen Vater und eine amerikanische Mutter, ist in England geboren und aufgewachsen. Dominik, was bist du eigentlich? Diese Frage hört er nicht gern. Von allem ein bisschen, sagt er, leicht genervt. Gabi kam als ungarisches Flüchtlingskind nach Wien und fühlt sich seither in Österreich als Ungarin und in Ungarn als Österreicherin. Miriam, in Afghanistan geboren, im Iran aufgewachsen, seit zwei Jahren in Österreich, hat auf die bewusste Frage eine Universalantwort parat: Ich bin Mensch, erklärt sie.

In einem Land, in dem jeder Fünfte einen Migrationshintergrund hat, sollten wir die Frage nach Nationalität und Identität vielleicht lieber gar nicht stellen. Im Fernsehen wurde der kroatischstämmige Fußballer Ivica Vastic vor einigen Jahren gefragt, zu wem er halte, wenn Österreich gegen Kroatien Fußball spielt. Der drohende Unterton war nicht zu überhören: Wehe, du sagst jetzt Kroatien. Vastic zog sich elegant aus der Affäre, indem er meinte, er halte zu seiner Mannschaft.

Das Thema ist in Deutschland und Österreich aktuell geworden, seit türkische Zuwanderer nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei in Köln und Wien gegen die Putschisten und für die Regierung Erdogan auf die Straße gingen. In Deutschland fordern einige CDU-Politiker inzwischen die Aufhebung der Doppelstaatsbürgerschaft. Die Leute sollten sich zwischen dem Herkunftsland und dem Land, in dem sie leben, entscheiden und einen der beiden Pässe zurückgeben. "Aus Loyalität", wie es heißt. Und in Österreich wurden Stimmen laut, die sagten, wer demonstrieren wolle, könne das gerne tun, "aber in Ankara oder Istanbul, nicht hier".

Innertürkische Auseinandersetzungen im Ausland – das ist tatsächlich problematisch. Aber hinter dem Streit um den Doppelpass steht ein größeres Dilemma. Darf man in einer globalisierten Welt wirklich nur ein einziges Vaterland haben? Ist das überhaupt möglich? Dominiks Vater verbrachte fast sein ganzes Berufsleben in England und fühlte sich dort heimisch, aber er brachte von jedem Österreichaufenthalt einen Laib gutes hiesiges Schwarzbrot mit und sprach mit seinen Kindern konsequent Deutsch.

Und wie sollen es die Menschen halten, die zu uns kommen? Müssen sie, wenn sie einmal die heißersehnte österreichische Staatsbürgerschaft haben, alle Wurzeln in der alten Heimat kappen? Heißt es für sie ab da: rot-weiß-rot bis in den Tod? Und dürfen, umgekehrt, diejenigen, die noch auf die Einbürgerung warten, überhaupt nicht mitreden? Oder dürfen auch sie, nach ihrer Identität befragt, antworten: von allem ein bisschen? Was die berühmten westlichen Werte anlangt, so ist die Gesetzeslage eindeutig. Gewalt ist out, die Verfassung steht über den Religionsvorschriften, Männer und Frauen sind gleichgestellt. Das müsste eigentlich genügen.

Insofern könnte man auch die vorgeschriebenen "Wertekurse" für Zuwanderer hinterfragen. Was sind "unsere" Werte? Haben H. C. Strache und Peter Pilz die gleichen? Und bringen beispielsweise syrische Flüchtlinge, die aus einer weit älteren Kultur kommen als der unseren, überhaupt keine Werte mit? Sollte man diese Kurse, die auch viel notwendiges praktisches Wissen beinhalten, nicht besser Orientierungskurse nennen? Wie kommt man zu einer E-Card? Was ist die Telefonnummer der Feuerwehr? So etwas ist nützlich, aber nicht unbedingt ein Wert. Wie immer die aktuellen Diskussionen um Doppelpass und Demonstrationsfreiheit ausgehen – die Antwort auf die Frage: Wer bist du eigentlich? wird in Hinkunft nicht mehr einfach lauten können: Österreicher und sonst gar nichts. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 17.8.2016)