Peter Stöger ist seit 2013 in Köln.

ballesterer/daniel shaked

"Jetzt geht es darum, das System offensiver auszulegen."

ballesterer/daniel shaked

Inhalte des ballesterer Nr. 114 (September 2016) – Seit 18. August im Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk

SCHWERPUNKT: 1. FC KÖLN

ARROGANT, CHAOTISCH UND JECK
Die wechselvolle Geschichte des 1. FC Köln

"ICH HABE MIT GEBROCHENEN FINGERN GESPIELT"
Harald Schumacher über den FC heute und damals

STARKE DEFENSIVE
Kölns Spielanlage unter Peter Stöger

Außerdem im neuen ballesterer

RÜCKFÜHRUNGSTRAINING
Der Wiener Sport-Club spielt wieder

QUALIFIZIERT, NICHT QUALIFIZIERT
Österreich bei Weltmeisterschaften

LOST GROUND
Das Franz-Horr-Stadion

ABSTIEG IM ALLEINGANG
Der FC Zürich ist nur noch zweitklassig

DIE BESTEN EUROPAS
Die spanische Liga vor der neuen Saison

DER SCHNEIDER VON CASTELFRANCO
Mauro Rosello produziert seit 26 Jahren Fanartikel

LEGENDE AUS NIEDERBAYERN
Klaus Augenthaler im Interview

NEBENSCHAUPLATZ EBERSTEIN
Unterwegs im Unterhaus

ISTANBULER AMATEURE
Freiraum im Unterhaus

GROUNDHOPPING
Matchberichte aus aller Welt

Foto: ballesterer

Zum dritten Mal in Folge hat der 1. FC Köln seine Zelte im burgenländischen Bad Tatzmannsdorf aufgeschlagen. Zum ersten Trainingslager vor der neuen Saison sind nur wenige Fans mitgereist. Doch sie sind nah dran an der Mannschaft, die Stimmung ist entspannt – auch bei Trainer Peter Stöger, der von Kurgästen umringt zum Interviewtermin erscheint.

ballesterer: Sie sind seit drei Jahren in Köln, wie sieht Ihr Zwischenresümee aus?

Stöger: Wir wollten in die Bundesliga aufsteigen und uns etablieren. Das haben wir geschafft. Die sportliche und wirtschaftliche Entwicklung ist gut.

Wie würden Sie die Beziehung der Fans und der Stadt zu ihrem Verein beschreiben?

Stöger: Der Verein ist in der Stadt allgegenwärtig, es ist ihr FC. Jeder hat seine Anknüpfungspunkte – das geht von ganz klein bis ins Seniorenalter. Das Stadion ist regelmäßig voll, egal, ob in der ersten oder zweiten Liga. Und ich habe hier mein zweites Zuhause gefunden.

Was hat für Sie damals den Ausschlag für Köln gegeben?

Stöger: Ich habe gewusst, dass es schön ist, hier zu leben, letztlich war die Stadt für mich aber nicht ausschlaggebend. Entscheidend war die sportliche Herausforderung, einen großen Klub in Deutschland mit Perspektiven zu trainieren. Ich wollte in die Bundesliga aufsteigen und so Trainer in der interessantesten Liga werden. Das war mein einziger Anreiz, der reicht auch bei manchen Spielern. Falls nicht, ist die Stadt ein zusätzliches Argument. Und wenn das immer noch nicht reicht, reden wir über den Karneval.

Diese Verbindung zur Stadt kann positiv, aber auch negativ sein.

Stöger: Nein. Grundsätzlich sehe ich das positiv. Negativ werden die Dinge erst gesehen, wenn die Erfolge ausbleiben. Aber man kann auch von den Leuten, die sehr euphorisch sind, wenn es gut läuft, nicht erwarten, dass es ihnen egal ist, wenn es schlechter läuft. Ich habe schon das Gefühl, dass die Unterstützung permanent da ist, auch in der zweiten Liga. Das werde ich den Fans nicht vergessen. Egal, gegen wen wir gespielt haben, es waren fast immer 50.000 Leute im Stadion.

Sie sind nach Hennes Weisweiler und Christoph Daum auf Platz drei der dienstältesten Trainer in Köln.

Stöger: Es ist ja kein Geheimnis, dass ich meinen Vertrag bis 2020 verlängert habe. Das ist ein klares Signal, dass wir langfristig miteinander arbeiten wollen. Ich würde mich freuen, wenn ich einmal der Trainer mit der längsten Verweildauer beim FC wäre, aber nicht, damit das auf meinem Grabstein steht. Sondern weil es ein Zeichen dafür wäre, dass der Verein relativ erfolgreich gearbeitet hat.

In den letzten Jahren hatte man den Eindruck, dass sich Ihre Mannschaft auswärts leichter tut als zu Hause.

Stöger: Ich bin kein Statistikfreak, aber im Schnitt haben wir relativ gleich gepunktet. Das zeigt, dass wir unsere Spielidee umsetzen können, ob zu Hause oder auswärts. Jetzt könnte man natürlich einwerfen: "Die sollten zu Hause viel mehr machen, dann wären sie viel weiter." Dann kann ich aber auch sagen: "Normalerweise machst du auswärts nicht so viele Punkte." Am Ende ist es wichtig, dass wir immer um die 40 Punkte gehabt haben.

Wie wollen Sie ihr Spiel in der nächsten Saison anlegen?

Stöger: Jeder Trainer geht mit der Grundidee ins Spiel, vier Tore zu schießen. Doch das ist manchmal nicht realistisch. Meine Aufgabe ist es, die Jungs so auf das Feld zu schicken, dass sie das Gefühl haben, dass sie die Vorgaben auch umsetzen können. Dann können wir punkten. Die vergangene Saison war ein Schritt in die richtige Richtung. Wir haben offensiver gespielt und ein paar Punkte mehr geholt. Auch wenn wir nicht viel mehr Tore geschossen haben, haben wir uns viel mehr Chancen herausgespielt. Das ist eine kleine Statistikentwicklung in die richtige Richtung. Wir haben gewusst, dass wir im ersten Bundesliga-Jahr über die Kompaktheit kommen müssen und dass wir im zweiten Jahr etwas mehr nach vorne machen können. Intern sind wir schon recht zufrieden damit.

Nehmen Sie taktisch etwas von der Europameisterschaft für die nächste Saison mit?

Stöger: Ich habe die meisten Spiele privat in Wien gesehen. Die habe ich ganz normal verfolgt, also nicht in taktische Analysen zerlegt. Man hat aber gesehen, dass über Laufarbeit und Organisation vieles gelöst werden kann. So haben auch starke Mannschaften Probleme gehabt, gegen schwächere Gegner zu vielen Chancen zu kommen. Ich habe bewusst ein bisschen mehr auf die Italiener geschaut, weil wir letzte Saison auch schon versucht haben, mit drei Innenverteidigern zu spielen. Das wollen wir diesen Sommer noch verfeinern. Es ist auch klar, dass es viele versuchen, aber nur wenige so wie die Italiener beherrschen.

Kann man also in Köln mit zwei Stürmern rechnen?

Stöger: Das denken wir an, also ein klassisches 3-5-2. Derzeit ist das aber nur auf dem Papier so, wir müssen dann schauen, wie gut das klappt. In der letzten Saison hat es defensiv schon gut funktioniert, jetzt geht es darum, das System offensiver auszulegen.

Wie haben Sie die Leistungen von Jonas Hector verfolgt?

Stöger: Wir haben uns sehr mit ihm gefreut, er hat das bei seinem ersten großen Turnier richtig gut gemacht. Als er den entscheidenden Elfmeter gegen Italien verwandelt hat, war die Freude riesengroß. Da war er dann auch richtig in den Schlagzeilen, was sonst nicht unbedingt seines ist. Er ist ja eher ein zurückhaltender Typ.

Derzeit schaut es so aus, als könnten Sie Hector und Ihren Tormann Timo Horn trotz großen Interesses halten.

Stöger: Wenn irgendwas Außergewöhnliches passieren sollte, würden wir uns damit auseinandersetzen. Genauso wie bei Spielern, die nicht zu vielen Einsätzen kommen oder sich verändern wollen.

Und bei Horn?

Stöger: Er ist eine fixe Größe in Köln, er hat ein super Standing im Klub, er hat als relativ junger Tormann die Möglichkeit, in seiner Heimatstadt zu spielen. Die Jungs wissen auch, was sie an diesem Verein haben. Wir haben mehr als eine Handvoll Spieler, die schon seit der zweiten Liga bei uns sind. Das ist unser Kern. Und die kümmern sich darum, dass alles rundherum funktioniert.

Noch einmal kurz zurück zur EM. Wie haben Sie das Abschneiden des österreichischen Nationalteams verfolgt?

Stöger: Ich war wie viele andere traurig, dass wir nicht weitergekommen sind. Ich glaube, dass die Mannschaft die Qualität gehabt hätte, ähnlich wie die Ungarn, die Isländer und die Waliser zu überraschen. Vielleicht war die Erwartungshaltung zu groß, gerade weil die Qualifikation so gut war. Ich kann und will das aber nicht bewerten, ich war einfach Fan der Mannschaft.

In Österreich war die Reaktion im Boulevard vernichtend – ähnlich wie in Köln in der Vergangenheit. Wie ist das für einen Beteiligten?

Stöger: Das nimmst du zur Kenntnis, es nutzt ja nichts. Ich versuche auch ein gewisses Verständnis dafür aufzubringen, die Journalisten machen ja auch nur ihren Job. Es geht um Geschichten, um Schlagzeilen. Entscheidend ist, wie gut der sportliche Kern funktioniert, damit du aus negativen Schlagzeilen herauskommst. Und positive Schlagzeilen musst du ebenso filtern, damit nicht jeder glaubt, dass die größten Erfolge schon erzielt sind. Das ist die tägliche Arbeit. Es wird keinen Trainer oder Spieler geben, dem es egal ist, wenn negativ über ihn berichtet wird, aber das muss man aushalten.

Sie sind ja als Meister der österreichischen Bundesliga in die zweite deutsche Liga gewechselt. Wie würden Sie die beiden Ligen vergleichen?

Stöger: Das ist schwierig. Infrastrukturell und was die Zuschauer angeht, kann man die Ligen gar nicht vergleichen. Mit der WM 2006 ist in Deutschland ein richtiger Schub passiert, bei der EM 2008 ist in Österreich gar nichts passiert. Da rede ich jetzt nicht davon, dass man 50.000er-Stadien in Graz oder Klagenfurt füllen soll, aber in Deutschland ist einfach der Schwung mitgenommen worden. Da sind super Stadien entstanden, und die Menschen haben sie auch angenommen. Trotzdem glaube ich, dass man in Österreich da oder dort mittlerweile auf einem ganz guten Weg ist. Ich hoffe, dass Rapid nun den Schwung mit dem neuen Stadion mitnehmen kann. Ich finde es auch gut, dass die Austria in die Infrastruktur investiert.

Wird der österreichische Fußball in Deutschland wahrgenommen?

Stöger: Als ich nach Deutschland gekommen bin, habe ich mir schon alles selbst organisieren müssen, um Zugang zum österreichischen Fußball zu haben. Allgegenwärtig ist er nicht, aber die handelnden Personen in den Vereinen wissen natürlich Bescheid. Das bedeutet, dass der Markt schon interessant ist. Die öffentliche Wahrnehmung ist aber eine andere.

Die besten Spieler verlassen Jahr für Jahr die Liga.

Stöger: Ich sehe das unterm Strich positiv. Die Spieler müssen auch davon träumen, einmal in einer ganz großen Liga zu spielen. Dass Florian Kainz nach Deutschland wechselt, ist für mich eine absolut normale und richtige Entscheidung. Mit dem Geld muss Rapid wieder etwas entwickeln. Wir haben beim 1. FC Köln eine ähnliche Situation: Yannick Gerhardt ist weggegangen. Ich bin deswegen aber nicht beleidigt, das ist ein ganz normaler Kreislauf. Der eine oder andere österreichische Verein steht unter dem 1. FC Köln, der wiederum unter sehr vielen anderen Vereinen steht. Selbst Borussia Dortmund hat das Problem, dass ihnen drei Topspieler weggekauft werden. Alle haben dieses Problem, du musst nur wissen, wohin dein Weg führt.

Wohin führt Ihrer?

Stöger: Wir wollen unsere Spieler weiterentwickeln und stabiler werden, selbst dann können wir aber noch Probleme bekommen. Die Bundesliga ist extrem stark, und man kann sich auf nichts verlassen. Wir dürfen nicht schon vor dem ersten Spieltag damit anfangen, von größeren Dingen zu träumen. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Verein in den letzten Jahren fünfmal auf- und abgestiegen ist. Im ersten Jahr nach dem Aufstieg sind wir Zwölfter geworden, letzte Saison Neunter – das war das beste Ergebnis seit 24 Jahren. (Jan Heier, 18.8.2016)