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Ernst Nolte starb am Donnerstag in Berlin.

Foto: dpa/Stefan Puchner

Ernst Nolte – Ein deutscher Streitfall. BR-alpha-Dokumentation über den Historiker aus dem Jahr 2013.

Quentin Quencher

Berlin – Der Historiker Ernst Nolte ist am Donnerstag im Alter von 93 Jahren in Berlin gestorben. Das bestätigte seine Familie der Deutschen Presse-Agentur.

Nolte galt als einer der prägendsten und streitbarsten Historiker seiner Generation. Mit seinem Artikel "Vergangenheit, die nicht vergehen will" in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" am 6. Juni 1986 löste er den sogenannten Historikerstreit aus, eine Debatte um die historische Einordnung des Nationalsozialismus im Verhältnis zur Sowjetunion.

"Kausaler Nexus" zwischen Gulag und KZ

Nolte stellte die These auf, dass der Holocaust eine Reaktion auf vorangegangene Massenverbrechen und das Gulag-System der Sowjetunion gewesen sei. Der "Antimarxismus" und die Bedrohung Deutschlands durch die russische Revolution sei ein Hauptantrieb des Nationalsozialismus gewesen. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden müsse in diesem Kontext betrachtet werden.

"War nicht der 'Archipel Gulag' ursprünglicher als 'Auschwitz'?", fragte Nolte. Hitler habe vermutlich in der "asiatischen Tat", mit der Lenin und Stalin die Bourgeoisie vernichten wollten, eine Bedrohung gesehen. Zwischen dem "Klassenmord" der Bolschewiki und dem späteren "Rassenmord" der Nazis scheine eine logische und faktische Verknüpfung zu bestehen, ein "kausaler Nexus".

Hitzige Debatte

Daraufhin entbrannte eine hitzige Debatte um die Singularität des Holocaust und die Verantwortung der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Zahlreiche Intellektuelle, allen voran der Philospoh Jürgen Habermas, warfen Nolte Revisionismus und eine Verharmlosung der NS-Verbrechen vor – andere stellten sich auf seine Seite.

Habermas antwortete zunächst am 11. Juli 1986 auf der ersten Seite der Wochenzeitung "Die Zeit" mit dem Artikel "Eine Art Schadensabwicklung". Darin kritisierte er "die apologetischen Tendenzen in der deutschen Zeitgeschichtsschreibung" und warf namentlich Nolte sowie den Historikern Michael Stürmer, Andreas Hillgruber und Klaus Hildebrand vor, die NS-Verbrechen zu verharmlosen und das Abschütteln einer "entmoralisierten Vergangenheit" anzustreben.

In weiterer Folge schalteten sich zahlreiche Historiker und Journalisten in den Streit ein, der noch etwa ein Jahr lang anhielt und die deutsche Geschichtsschreibung nachhaltig prägte. Noltes Thesen wurden neben der Kritik am Verständnis der NS-Ideologie auch massive methodische und quellenkundliche Mängel vorgeworfen.

Zunehmende Isolation

Nolte wurde 1923 im nordrhein-westfälischen Witten in eine katholische Familie geboren. Er promovierte in Freiburg über "Selbstentfremdung und Dialektik im deutschen Idealismus und bei Marx", seine Habilitationsschrift "Der Faschismus in seiner Epoche" (1963) ist noch heute ein Standardwerk. Weitere bekannte Werke sind "Theorien über den Faschismus", "Deutschland und der Kalte Krieg" sowie "Der Europäische Bürgerkrieg – Nationalsozialismus und Bolschewismus".

Nolte erhielt einen Lehrauftrag für Neue Geschichte an der Universität Köln und später einen Lehrstuhl in Marburg. 1973 folgte er einem Ruf an die Freie Universität Berlin, wo er bis zu seiner Emeritierung 1991 lehrte. Nach dem Historikerstreit blieb Nolte weiter bei seinen Ansichten und wurde wissenschaftlich zunehmend isoliert.

In seinem 1998 erschienenen Buch "Historische Existenz – Zwischen Anfang und Ende der Geschichte?" intensivierte er seine Thesen noch einmal und meinte, Hitler habe "schwerwiegende Gründe" gehabt, die Juden seit 1939 als feindlich gesinnt zu betrachten "und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen". Deren Ermordung sei damit aber nicht gemeint. Als er im Jahr 2000 den Konrad-Adenauer-Preis der Deutschland-Stiftung erhielt, lehnte Angela Merkel ab, die Laudatio zu halten.

Am 18. August 2016 starb der streitbare Historiker im Alter von 93 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit. (dare, APA, 18.8.2016)