Kaori Icho war auch in Rio überragend.

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Gegenüber Michael Phelps hat Kaori Icho (32) einen entscheidenden Nachteil – im Gegensatz zum Schwimmer, der wegen der Stilvielfalt alle vier Jahre theoretisch sogar im Dutzend triumphieren hätte können, hat die Freistilringerin bei Olympischen Spielen nur eine einzige Goldchance.

Icho nützte sie in Rio de Janeiro zum vierten Mal en suite, sie ist also unter den Ringern in ihrer Kategorie seit 2004 ungeschlagen. In Athen, Peking und London siegte die aus dem äußersten Nordosten der größten Hauptinsel Honshu stammende Athletin in der Klasse bis 63 Kilogramm, in Rio und infolge der 2014 vom internationalen Verband verordneten Gewichtsklassenreform in der Klasse bis 58 Kilo.

Historisch einmalig

Icho hat nicht nur in ihrem Sport bisher Einmaliges geschafft – sogar der legendäre sibirische Ringer Alexander Karelin konnte nur dreimal hintereinander olympisch gewinnen -, sie ist überhaupt die erste Sportlerin mit Triumphen in vier aufeinanderfolgenden Spielen.

Daheim in Japan war Icho schon davor eine tiefverehrte Legende. Im Gegensatz zu ihrer Teamkollegin, der Leichtgewichtlerin (bis 53 kg) Saori Yoshida, die in der Nacht auf heute ihr goldenes Olympiaquartett zusammenbekommen könnte, gilt die 1,63 Meter hohe Kämpferin als äußerst zurückhaltend und für ihr Metier eigentlich gar nicht aggressiv genug.

Höfliche Samurai

Der ihr von Werbestrategen verpasste Kampfname Samurai soll denn auch auf andere, der japanischen Kriegerkaste zugeschriebene Tugenden verweisen – Höflichkeit, Tapferkeit oder auch Einfachheit.

Wie Yoshida, die als geradezu fanatisch angriffslustige Ringerin gilt, stammt Icho aus einer Ringerfamilie. Die um knapp drei Jahre ältere Schwester Chiharu Icho, die 2004 und 2008 olympisches Silber in der Klasse bis 48 Kilo gewann, galt ihr als – bald überflügeltes – Vorbild. Mit 17 errang Kaori Icho ihren ersten japanischen Meistertitel, mit 18 gelang das erste WM-Gold (bis dato zehn).

189 Siege in Folge

Ihrer Technik, mit geradezu chirurgischer Präzision umgesetzt, war lange nicht beizukommen. Erst im Jänner musste Kaori Icho ihre erste Niederlage seit 2003, nach 189 siegreichen Kämpfen, hinnehmen. Die Mongolin Orkhon Purevdorj, die in Rio im Viertelfinale scheitern sollte, konnte damals in Krasnojarsk ihren Sieg ebenso wenig fassen wie der Rest der Ringerwelt.

Der Goldlauf von Kaori Icho, die für das Firmenteam des Sicherheits- und Überwachungsdienstleistungskonzerns Alsok ringt und in dessen Interesse auch eifrig Tokios Olympiabewerbung für 2020 unterstützte, schien nur nach Olympia in Peking gefährdet. Mit dem Karriereende ihrer Schwester Chiharu, die Lehrerin wurde, kam Frau Samurai psychisch nicht zurecht. Erst nach einigen Monaten dämmerte ihr: "Ich habe noch nicht das Beste aus mir herausgeholt. (Sigi Lützow, 18.8.2016)