Frauen bei einer Demonstration für die Unabhängigkeit der Region Kaschmir.

Foto: AFP/TAUSEEF MUSTAFA

Srinagar/Dubai – Für Indien war er schlicht ein Terrorist – für viele Kaschmiris dagegen ein Held: Attraktiv, muskulös und internetaffin, nutzte Burhan Muzaffar Wani Social Media, um Kämpfer für die islamistische Terrororganisation Hizbul Mujahideen zu rekrutieren. "Kaschmirs Jugend ist bereit, für den Islam zu sterben", warb der 22-Jährige in Videos, die Kalaschnikow lässig neben sich, für den bewaffneten Kampf gegen Indien und für die Unabhängigkeit der Region.

Wani avancierte zum Idol einer zornigen Jugend, die Gewalt zusehends glorifiziert – bis ihn indische Soldaten töteten. Das war am 8. Juli. Seitdem kommt Kaschmir nicht mehr zur Ruhe. Am Donnerstag starb ein Einwohner eines Dorfes in der Nähe der Hauptstadt Srinagar, als Proteste gegen die Tötung Wanis eskaliert waren und zu Zusammenstößen mit Beamten geführt hatten.

Unruhen eskalieren

Die Region erlebt die blutigsten Unruhen seit 2010. In den Straßen schreien maskierte junge Männer "Freiheit, Freiheit" und bewerfen Soldaten und Polizisten mit Steinen und Molotowcocktails. Die Sicherheitskräfte schießen zurück – mit Tränengas, Blendgranaten und schrotartigen Kugeln. Die Bilanz: Mindestens 66 Menschen starben, Kaschmiris ebenso wie Sicherheitskräfte, Tausende wurden verletzt. Dutzende junge Männer verloren ihr Augenlicht durch Schrotkugeln. Vielerorts herrschen Ausgangssperren, durchkämmen Soldaten Häuser.

Einige Jahre war es relativ ruhig in der Region, die seit 1947 zwischen Pakistan und Indien geteilt ist und immer wieder für Konflikte sorgt. Doch schon seit 1989 schwelt ein Aufstand gegen Indien, das viele Kaschmiris als Besatzungsmacht empfinden. Mehr als 50.000 Menschen wurden seitdem getötet.

Seit Anbeginn wirft Indien dem Erzfeind Pakistan vor, den Kampf zu schüren, Terroristen zu trainieren und in den indischen Teil Kaschmirs einzuschleusen. Auch diesmal war Delhi schnell dabei, auf Pakistan zu zeigen. Doch selbst in Indien widersprechen viele dieser Sicht. Pakistan sei nicht an der aktuellen Krise schuld, meint Kaschmirs Ex-Regierungschef Omar Abdullah. Er wirft Delhi aber vor, überzogene Gewalt anzuwenden und so den Unmut anzufachen.

Einheimische Militante

Tatsächlich wächst in Kaschmir eine neue Generation von Militanten heran, die sich vor allem aus Einheimischen speist. Die Zahl der einheimischen Militanten übersteigt laut Medien inzwischen die der aus Pakistan stammenden. Kaum jemand repräsentierte diesen neuen Typus so wie Wani. Geboren in Südkaschmir als Sohn eines Lehrers, verschwand er mit 15 in den Bergen, nachdem indische Soldaten seinen Bruder verprügelt hatten, um einige Jahre später als Kämpfer der Hizbul Mujahideen auf Facebook wieder aufzutauchen. Als einer der ersten Militanten zeigte er offen sein Gesicht. 30 bis 100 junge Männer sollen seinem Ruf gefolgt sein, sich den Militanten anzuschließen.

Doch die Wut auf Indien geht über die Jugend hinaus. Indische Militärs zeigen sich besorgt, dass immer mehr Menschen demonstrativ zu den Begräbnissen von Militanten strömen. Die Unruhen in Kaschmir belasten zusehends das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen Delhi und Islamabad.

Nachdem Pakistans Premier Nawaz Sharif Wani als "Märtyrer" bezeichnet hatte, verschärfte auch Indiens Regierungschef Narendra Modi seine Tonart. Damit scheint eine Entspannung zwischen den beiden Atommächten wieder in weite Ferne zu rücken. (Christine Möllhoff, 20.8.2016)