Nach dem Anschlag auf eine Hochzeitsfeier im Südosten der Türkei bekannte sich zunächst niemand zu der Tat.

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Gaziantep – Ein Bombenanschlag mit Dutzenden Opfern hat aus einer kurdischen Hochzeitsfeier in der Türkei ein Blutbad gemacht. Bei der mutmaßlich von einem Selbstmordattentäter herbeigeführten Explosion in der südöstlichen Millionenstadt Gaziantep wurden am Samstagabend nach Behördenangaben mindestens 51 Menschen getötet und fast 70 verletzt.

Täter zwischen 12 und 14 Jahre alt

Präsident Recep Tayyip Erdoğan verurteilte den "Terroranschlag" vom Samstagabend und sprach von einer möglichen Urheberschaft der Jihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS). In einem Fernsehinterview sagte Erdoğan, das der Attentäter zwischen 12 und 14 Jahre alt gewesen sei, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters.

Der Sprengsatz explodierte inmitten einer Hochzeitsgesellschaft, die auf offener Straße im Beybahce-Viertel von Gaziantep feierte. Nach Angaben der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP handelte es sich um eine kurdische Hochzeit, unter den Todesopfern seien mehrere Kinder. In dem Stadtviertel leben dem Vernehmen nach vor allem Kurden.

Chaotische Szenen

Zahlreiche Krankenwagen rasten zum Anschlagsort. In sozialen Medien kursierten Videos, die chaotische Szenen zeigten. Menschen schalteten die Taschenlampenfunktion ihres Smartphones ein und irrten auf der Suche nach verletzten Freunden und Angehörigen umher. Am Boden lagen viele blutende Menschen.

Ein Abgeordneter der Regierungspartei AKP, Samil Tayyar, äußerte laut der Nachrichtenagentur Dogan die Vermutung, dass hinter dem Anschlag in Gaziantep am ehesten die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) stecken dürfte, die jenseits der nahen Grenze in Syrien weite Gebiete beherrscht. Der IS hat sich bisher noch zu keinem der ihm zugeschriebenen Anschläge in der Türkei bekannt.

Teilweises Nachrichtenverbot

Kurz nach dem Anschlag verhängte die Rundfunkbehörde ein teilweises Nachrichtenverbot, wie dies bei anderen Attentaten in der Vergangenheit auch schon der Fall gewesen war. Anadolu verbreitete indes eine Stellungnahme Erdogans, wonach die Täter das türkische Volk zu "provozieren versuchen", indem sie "ethnische und religiöse Empfindlichkeiten" für ihre Zwecke nutzten. Er mache dabei keinen Unterschied zwischen der kurdischen Untergrundorganisation PKK, der Bewegung des Islam-Predigers Fetullah Gülen und dem IS.

Auch die pro-kurdische HDP, die drittgrößte Partei im türkischen Parlament, reagierte entsetzt. "Wir verurteilen und verdammen diejenigen, die diese Attacke verübt haben, und die Kräfte und Ideologien hinter ihrem Handeln", hieß es in einer Stellungnahme.

Die rund 1,5 Millionen Einwohner zählende Stadt Gaziantep liegt unweit der Grenze zum Bürgerkriegsland Syrien. Neben der PKK operiert im Südosten der Türkei auch die IS-Miliz, die dort schon mehrfach Anschläge verübt hat.

Täter unklar

Unklar ist, ob zwischen dem Anschlag in Gaziantep und dem Bürgerkrieg in Syrien ein direkter Zusammenhang besteht. Die kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG) sind in Syrien der wichtigste Partner des Westens im Kampf gegen den IS und beherrschen Teile der Grenze zur Türkei.

Erdogan hatte IS-Extremisten auch für den Anschlag auf den Istanbuler Flughafen im Juni verantwortlich gemacht, bei dem 45 Menschen ums Leben kamen. Die türkische Polizei hatte Anfang August 20 mutmaßliche Mitglieder der Extremistenmiliz Islamischer Staat (IS) festgenommen. Die Behörden gingen damals davon aus, dass der IS Anschläge in der Türkei plane.

Andererseits wird die Türkei verdächtigt, in den vergangenen Jahren logistisches Hinterland für den IS und andere jihadistische Terrorgruppen gewesen zu sein. Für Aufregung sorgte in diesem Zusammenhang in den vergangenen Tagen ein interner Bericht der deutschen Bundesregierung, der die Türkei als "zentrale Aktionsplattform" für Islamisten im Nahen Osten einstufte. Das Papier war an sich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, jedoch deutschen Medien zugespielt worden.

Betroffenheit auch in Brüssel

Auch bei Vertretern der Europäischen Union löste der Terroranschlag Entsetzen aus. Der CSU-Europaparlamentarier Manfred Weber und die EU-Kommissare Johannes Hahn und Christos Stylianides verurteilten das Attentat am Sonntag auf Twitter scharf.

Hahn sprach den Familien sein Beileid aus und wünschte den Verletzten eine schnelle Genesung. Der "abscheuliche Terror-Angriff" sei aufs Schärfste zu verurteilen, twitterte der Kommissar. "Meine Gedanken sind bei den Opfern, Familien und dem Volk der Türkei", schrieb Stylianides.

Auch Österreichs Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hat den "abscheulichen Terroranschlag" verurteilt. "Meine Gedanken sind bei den Familien der Opfer", twitterte Kurz am Sonntag.

Putin ruft zu Kampf gegen Terrorismus auf

Der russische Präsident Wladimir Putin hat unterdessen zu einem gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus aufgerufen. Den Angriff in Gaziantep verurteilte der Kremlchef in einem Beileidstelegramm an seinen türkischen Kollegen Recep Tayyip Erdogan am Sonntag als brutal und zynisch.

"Wir haben einmal mehr erfahren, dass der Terrorismus nicht nur die Gesetze zivilisierter Gesellschaften nicht anerkennt, sondern auch die grundlegenden Normen der menschlichen Moral missachtet", schrieb Putin nach Angaben es Kremls.

Auch die deutsche und die französische Regierung haben den Terroranschlag verurteilt und der Türkei ihr Beileid ausgesprochen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier sprach am Sonntag von einem "grauenvoller Angriff". Aus einer Hochzeitsfeier, einem Fest der Freude, sei ein Alptraum geworden. "Wir sind in Gedanken bei den Opfern, ihren Familien und Freunden und trauern mit ihnen", sagte er laut Mitteilung in Berlin.

Der französische Präsident François Hollande verurteilte den "schändlichen Anschlag". Frankreich stehe an der Seite aller, die gegen den Terrorismus kämpfen, hieß es in einer Mitteilung des Élyséepalastes.

Anschlagsserie am Donnerstag

Erst am Donnerstag waren bei einer Anschlagserie auf türkische Sicherheitskräfte insgesamt 14 Menschen getötet und rund 300 weitere verletzt worden. Zu einem der Anschläge bekannte sich die PKK.

Das Außenministerium in Wien rät von Reisen in das türkische Grenzgebiet zu Syrien und zum Irak ab und nennt auf seiner Homepage dabei auch Gaziantep. Im Osten und Südosten kam es in den vergangenen Jahren und Monaten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen mit zahlreichen Todesopfern und Verletzten. (APA, dpa, 21.8.2016)