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Yolandi Visser und ihr Ninja boten eine groteske Geisterbahnshow der kitschigen Töne und des Grinds. Sie wollen aber nur spielen.

Foto: APA/EPA/Jean-Christophe Bott

St. Pölten – Es ist Samstag, dritter und letzter Tag am Frequency-Festival, und den Standlern für temporäre Tattoos dämmert, dass sie etwas verpasst haben. Man lässt sich einfach kein schwarzes Logo älterer Altherrenbands oder gar Mike Tysons Gesichtstribal aufziehen. Zu besonders schönen Anlässen muss es schon Gold und Silber sein. Die Motive: Indianisch, antik oder einfach feenstaubig. Klimt lässt grüßen.

Die Veredelung tief gebräunter (und mittlerweile auch wieder betont blasser) Haut mit etwas Fake-Blattgold ist freilich kein ganz junger Trend – geballt wie jetzt sah man ihn am Frequency aber noch nie. Zudem erinnert das Stilelement an die Erzählung vom Schnitzel. Kurz: Die uns heute lieb gewordene goldbraune Bröselpanier entstand beim Versuch, die mit Blattgold überzogene Luxusvariante des Adels zu kopieren. Schon gewusst? Mahlzeit!

In Rot-Weiß statt Gold und Silber trat am Samstagnachmittag die Münchner Brassband Moop Mama auf. Bekannt geworden ist die Truppe mit unangemeldeten Guerilla-Gigs im öffentlichen Raum. Am Frequency ist sie eine Art Parov Stelar fürs Rap-Publikum. Mit Zeilen wie "Alle Kinder schreien oohh, auf die Fresse fertig oohh." beherrscht man auch die Klaviatur der Selbstinfantilisierung. Das Sich-zum-Kind-Machen hat eine erlösende Funktion und soll das Ausleben anarchischer Energien rechtfertigen.

Cloudrap als Überraschung

Lieber übergroß als klein machen sich die seit ein paar Jahren angesagten LGoony aus Köln und Crack Ignaz aus Salzburg. Als gut gehüteter Überraschungsact trugen sie ihre bewusst notdürftig zusammengebastelten Raps über dicke Autos, dicke Hosen und dicke Joints am Red Bull Brandwagen vor. Sie verstehen sich als Vertreter des Cloudrap: Songs entstehen nicht im Studio, sondern beim Chillen auf der Couch – in den diversen Onlineclouds werden sie dann frei geteilt. Stilistisch klingt das spontan, unausgegoren und oft ziemlich wirr; erreicht aber mittlerweile Millionen-Klickzahlen.

Live From Earth

Dass der Cloudrap (von "Realrappern" ja eher verachtet) live dann oft ziemlich wolkig daherkommt, ist nicht verwunderlich. Noch goutiert der junge Anhang jeden blutleeren Auftritt ihrer Youtube-Helden mit Verweis auf die Verbundenheit im Amateurhaften. Ob diese an sich nette Idee des ausgehebelten Leistungsprinzips bleiben wird, ist fraglich. Was bei LGoony und Crack Ignaz auf alle Fälle bleiben sollte, ist ihre raffiniert einzigartige Sprachverwirrung zwischen Salzburger Dialekt, Kölner Straßenrapslang und Ami-Einsprengseln, nachzuhören im Hit "Oida WOW". Da geht es dann auch nicht mehr um Gold und Silber, sondern Platin.

Grundfragen der Existenz

Darauf durften WIZO seit ihrer Gründung im Jahr 1986 (!) standesgemäß nie aus sein. Die Punkrocklegenden aus Sindelfingen bei Stuttgart bildeten in den 1990er-Jahren als härtere Variante der Ärzte ein Bindeglied im Halbmainstream zwischen echten Punks und jenen, die es gerne gewesen wären. 2005 kam die Abschiedstour, vier Jahre später eine Neuauflage. Von der ursprünglichen Besetzung ist aktuell nur noch Sänger Axel Kurth an Bord. "Wir sind noch eine dieser altmodischen Bands, die sich nicht unpolitisch geben", sagt er – und die alten Lieder, die seien ja aktueller denn je. Man wettert also weiter gegen Faschos, Bonzen und System – ab November wollen WIZO mit einer Clubtour und dem neuen Album "DER" auch die zugehörige Fanbasis wiederfinden.

An den Grundfragen der Existenz, nur ein ganz kleines bisschen verkopfter, rühren seit etwa derselben Zeit auch die britischen Trip-Hop-Genreelefanten Massive Attack. Zum dunklen, brummenden Sound werden in schneller Abfolge vertiefende Visuals eingeblendet: Namen von Parteien und Intellektuellen, wirre Zahlenreihen, Flughafen-Städtecodes, Markennamen, Nationalflaggen. Harte Kost.

Viele ergriffen die Flucht und drängten sich währenddessen bei minderintellektueller Kunst von Limp Bizkit auf der kleineren Green Stage. Uninspiriert und zeitlich knapp gehalten, spielten Fred Durst und Co ihr Chocolate Starfish-Album herunter und bauten ein kleines Nirvana-Medley ein. Die Bühnenordnung hätte ab hier eigentlich andersherum aussehen müssen. Weltumarmer Manu Chao lieferte als Schlussact auf der Hauptbühne zwar einen gewohnt beherzten Auftritt ab; in Vergrößerung auf den Videowalls hätte man ihn und seine eher statischen Mannen aber nicht sehen müssen.

Kitsch und Grind

Ganz anders bei der völlig durchgeknallten Show der südafrikanischen Rave-Rap-Band Die Antwoord, wo man die zig interessanten Kostümwechsel schon aus mittlerer Entfernung nur noch erahnen konnte. Das Trio, bestehend aus Yolandi Visser, ihrem Counterpart Watkin Tudor Jones alias "Ninja" und dem ominösen, maskierten DJ Hi-Tek, vereint mit doppelbödigem, ironischem Rap und harter Elektronik zwei Konstanten des Festivals der letzten Jahre. Allein optisch zeigen Yolandi und Ninja, wohin die Reise geht: überkitschter, süßlicher Plastikrave aus den 1990er-Jahren, vermischt mit grindigen Horrorelementen, wie man sie aus dem an sich abgeebbten, aber vielleicht gerade wieder in Mode kommenden Schockrock-Genre kennt.

Die Antwoord

Geplant war das Projekt ursprünglich als Versuch einer grotesk überdrehten Sozialsatire auf die weiße südafrikanische Minderheit. Mit ihrem Hit "Enter the Ninja" von 2010 und dem zugehörigen, erstklassigen Video ging dann aber alles durch die Decke. Heute kann man sie als Satire auf den gesamten Popbetrieb sehen. Ein wichtiger Teil der Liveshow sind die visuellen Einspielungen: albtraumhafte Szenen mischen sich mit bunten Referenzen auf Disney, Nintendo, frühe Computerästhetik, Diskodrogen und Sex. Ein faszinierend alberner Vorgang. Und ein netter Kommentar zum gesamten Festival. (Stefan Weiss, 21.8.2016)