Bei der Demonstration vergangenen Samstag in Wien protestierten Kurden gegen Menschenrechtsverletzungen in der Türkei.

Foto: Plankenauer

Wien – Ein paar Hundert Meter hinter dem Westbahnhof liegt ein Teil des 15. Bezirks, dem seine städteplanerische Aufhübschung größtenteils noch bevorsteht und der dementsprechend angenehm unpoliert daherkommt. Ganz in der Nähe des aufstrebenden Schwendermarkts unterhalten sich vier junge Männer und rauchen. Sie stehen vor der offenen Tür ihres Vereinslokals, des Sitzes des größten kurdischen Dachverbands in Österreich, Feykom.

Angespannte Situation

Trotz des lauen Sommerabends wird heißer Çay aus handflächengroßen Gläsern ohne Griff getrunken. Es ist halb acht am Abend, als Ruken Eraslan und Şilan Kaya von einer Sitzung kommen. Sie wirken ein bisschen erschöpft, aber gleichzeitig angespannt. Die Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate tragen nicht gerade dazu bei, gelassener zu werden. Die beiden Frauen sind Mitglieder im Vorstand von Feykom, einem dezidiert linken Verein.

Ungefähr 100.000 Kurden leben in Österreich, gut 5000 von ihnen sind bei diesem Verband organisiert. Den größten Teil bilden diejenigen mit Wurzeln in der Türkei. Für die Tatsache, dass sie sich nach wie vor zu PKK-Führer Abdullah Öcalan bekennen, werden sie von ihren politischen Gegnern immer wieder stark kritisiert. In letzter Zeit ist das Klima rauer geworden, auch in Österreich. Die aktuellen Entwicklungen in der Türkei haben Einfluss auf die Diaspora hierzulande.

Der Juristin Eraslan steckt ein Erlebnis vom Jänner dieses Jahres noch immer in den Knochen: Bei einer Konferenz im EU-Parlament über die Situation der Kurden wurde eine Liveschaltung per Telefon zu dem kurdischen Regionalpolitiker Mehmet Tunç aus der Stadt Cizre, wo seit Monaten bürgerkriegsähnliche Verhältnisse herrschen, organisiert. Neben Eraslan waren auch Parlamentarier im Raum. Während des Telefonats saß Tunç in einem Keller fest. "Er sagte: Das ist vielleicht mein letztes Gespräch. Helft uns!", erzählt Eraslan. Drei Tage später verbrannte Tunç gemeinsam mit Dutzenden anderen in einem Keller. Sein Foto steht jetzt auf der Bühne des Vereinslokals in Wien.

Wütend auf die EU

"Die EU hält sich zurück, weil die Türkei ein strategisch wichtiger Partner ist", kritisiert Kaya. Die 23-jährige Pharmaziestudentin macht das unglaublich wütend.

Der Einfluss globaler Ereignisse beschränkt sich nicht auf die kurdische Seite: Die der AKP nahestehende Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) ist ein Spiegelbild des aktuellen Kurses des türkischen Präsidenten Erdogan. Hinzu kommen die rechtsextremen Grauen Wölfe, die zur türkischen MHP-Fraktion zählen. Eraslan und Kaya erzählen von Anfeindungen auf der Straße und online, die in den letzten Wochen zugenommen hätten. Und von Sachbeschädigungen am Vereinslokal.

"Manchmal fahren sie aber auch in der Nacht vor", erzählt Eraslan. Bei einer von Feykom organisierten Demonstration vergangenen Samstag verlief alles friedlich, doch eine Woche davor war es im Zuge einer Kundgebung zu Ausschreitungen auf dem Stephansplatz gekommen. Medien schrieben von einem "Krieg in Wien".

Verwischte Grenzen

Konnte man die Gruppierungen früher noch besser unterscheiden, schwinden die Berührungsängste zwischen Konservativen und Rechtsextremen zusehends. Diese Einschätzung teilt auch Kurdologie-Experte Thomas Schmidinger: "Es geht in die Richtung einer Zusammenarbeit. Es gibt eine zunehmende Vermischung von politischem Islam und Nationalismus."

Neu hinzugekommen ist die militante Schlägertruppe der "Osmanen Germania", die Schmidinger als so etwas wie die "Burschenschaft" des türkischen nationalreligiösen Milieus bezeichnet. Sie habe klare Feindbilder: Kurden, Aleviten, Armenier, Juden.

Die Frage, ob sie Angst haben, verneinen Eraslan und Kaya entschieden. Für sie ist es offensichtlich eine politische Entscheidung, keine Angst zu haben. "Ein gewisses Unsicherheitsgefühl ist schon da", meint Eraslan zögernd: "Zum Beispiel, wenn ich Kurdisch in der Öffentlichkeit spreche." Ihre Kollegin nickt. "Aber wir leben immer noch in einem Rechtsstaat", sagt Kaya mit fester Stimme. "Von einem Krieg kann keine Rede sein." (Vanessa Gaigg, 23.8.2016)