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Foto: dpa/Stratenschulte

Sind Menschen bei uns arbeitslos, weil sie nicht wirklich arbeiten wollen oder weil einfach die Jobs fehlen?

Wer wissen will, ob jemand eher rechts oder links steht, muss ihm oder ihr nur diese Frage stellen. Durch die Antwort erfährt man ganz viel über politische Überzeugungen, Weltanschauungen, persönliche Lebenserfahrungen und sogar den Charakter des Befragten?

Lopatka fordert mehr Druck

Auch die Debatte über Mindestsicherung und Ein-Euro-Jobs für Flüchtlinge sowie Zumutbarkeitsbestimmungen für alle Arbeitssuchende wird von diesem Spannungsfeld geprägt. ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka steht mit seiner Ansicht, dass man auf Flüchtlinge mehr Druck ausüben muss, damit sie eine Arbeit annehmen, weder in der Partei noch in der Bevölkerung allein. Und das gleiche wird auch bei vielen einheimischen Arbeitslosen angenommen.

Die übliche Antwort in der SPÖ, aus der Gewerkschaft, von den Grünen und von linksliberalen Intellektuellen lautet: Fast alle Menschen wollen arbeiten, aber sie finden keinen passenden Job.

Die andere Seite sehen

Diese Ansichten sind allerdings nicht ganz festgefahren. Auch Unternehmer mit einer progressiven Weltanschauung klagen oft darüber, dass viele vom AMS geschickte Arbeitssuchende überhaupt kein Interesse an einer offenen Stelle haben, sondern nur die Bestätigung wollen, dass sie sich vorgestellt haben – damit sie die Sozialleistungen behalten können.

Und auch hart gesottene Konservative werden, wenn sie sich einmal von einem Langzeitarbeitslosen dessen Frustrationen mit der Arbeitssuche erzählen lassen, nicht mehr so schnell "Selber schuld" sagen.

Gute Jobs sind Mangelware

Also wer hat recht? Darauf gibt es keine gute Antwort. Was sicher stimmt, ist folgendes: Schlechte Jobs gibt es genug, gute Jobs sind Mangelware. Alles hängt daher von der Frage der Zumutbarkeit ab.

Wer sich anschaut, mit welcher Verzweiflung Tourismusbetriebe Personal suchen und dabei wenig Qualifikationen verlangen, oder wie jetzt Magna nicht weiß, wie sie 4500 neue Stellen in der Steiermark füllen soll, der muss zum Schluss kommen, dass fast alle zur Arbeit Fähigen in diesem Land auch Arbeit finden könnten – wenn sie nur wollten oder müssten.

Frage der Zumutbarkeit

Aber wie weit müssen sie dafür täglich pendeln, oder müssten sie sogar den Wohnort wechseln? Und welche Abstriche vom früheren Gehalt und einer bereits gehaltenen Qualifikationen kann man verlangen? Letztlich hängt alles, wie auch AMS-Vorstand Johannes Kopf immer wieder betont, von der Frage der Zumutbarkeit ab.

Diese Zumutbarkeit ist im Gesetz klar geregelt, wird aber nicht immer genau umgesetzt und ist auch nicht in Stein gemeißelt. Dass die ÖVP darüber diskutieren will, ist legitim.

Fahrzeit von mehr als einer Stunde

Ist eine Fahrzeit vom Wohnort zum Arbeitsplatz von etwas über einer Stunde wirklich unzumutbar? Das gilt etwa für jemanden, der irgendwo in St. Pölten wohnt und in Wien eine nicht ganz zentral gelegene Stelle angeboten bekommt. Derzeit müsste man diese nicht annehmen, weil die Zumutbarkeitsgrenze bei zwei Stunden gesamter täglicher Fahrzeit liegt. Eine Ausweitung auf zweieinhalb Stunden, wie sie die ÖVP fordert, ist nicht unvertretbar.

Und welchen Job muss eine 50-jährige arbeitslose Buchhalterin annehmen müssen? Als Küchenhilfe sicher nicht, aber die Eingabe von Kundendaten bei einem Dienstleistungsbetrieb müsste eigentlich möglich sein.

Kein Sprungbrett, sondern eine Sackgasse

Aber wer argumentiert, dass Arbeitslose praktisch jeden Job annehmen sollten, weil sie nur so die Chance auf bessere Arbeit erhalten, muss bedenken, dass ein solcher beruflicher Abstieg oft endgültig ist. Die deutsche Erfahrung mit Billig-Jobs ist, dass sich dies für die meisten Betroffenen nicht als Sprungbrett, sondern als Sackgasse erweist.

Auch bei Ein-Euro-Jobs für Flüchtlinge, die auch von vielen Experten befürwortet werden, besteht die Gefahr, dass diese Menschen dann auf Jahre und Jahrzehnte in einem zweiten, schlechteren Arbeitssektor steckenbleiben.

Grundeinkommen oder Zwangsarbeit

Aber ist das ein Argument gegen eine Arbeitspflicht? Hier stoßen wieder unterschiedliche Weltanschauungen aufeinander. Auf der einen Seite stehen jene, die der Meinung sind, dass niemand eine Arbeit machen soll, die er oder sie nicht machen will. Das spricht für ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Auf der anderen Seite wird die Meinung vertreten, dass niemand in der Gesellschaft das Recht hat, nicht zu arbeiten, wenn sie dazu fähig sind. Das führt in letzter Konsequenz zu Zwangsarbeit.

Die meisten von uns stehen irgendwo zwischen diesen beiden Polen – und neigen entweder der einen oder anderen Seite zu.

Kompromisse sind möglich

Aber gerade in einer Koalition zwischen einer gemäßigt linken und gemäßigt rechten Partei lässt sich die Politik nicht auf Grundlage von Ideologie beantworten. Und Kompromisse sind hier möglich.

Wenn SPÖ und ÖVP etwas bewegen wollen, dann sollten sie eine Arbeitsgruppe von Experten und Sozialpartnervertretern – vielleicht unter Führung von AMS-Vorstand Kopf, der besonders vernünftige Mittelpositionen vertritt – bilden. Diese sollte auf 'Grundlage praktischer Erfahrungen einen Aktionsplan ausarbeiten, der mehr Menschen in den Arbeitsprozess führt und dabei menschliche Härten möglichst vermeidet.

Beide Parteien sollten sich dazu verpflichten, den vorgelegten Plan möglichst unverändert anzunehmen und umzusetzen. Denn eine ideologisch geprägte Debatte über Grundsätze und Folgen kann nur zu weiterem Stillstand führen. (Eric Frey, 27.8.2016)