Vor hundert Tagen ist Christian Kern (SPÖ) als neuer Bundeskanzler angelobt worden. "Wenn wir dieses Schauspiel weiter liefern, ein Schauspiel der Machtversessenheit und der Zukunftsvergessenheit, dann haben wir nur noch wenige Monate bis zum endgültigen Aufprall", sagte Kern damals zur Zusammenarbeit der Koalition in seiner ersten Pressekonferenz. Nun sind einige Monate vergangenen, und das Schauspiel sieht jetzt nicht viel anders aus als vor dem Kanzlerwechsel.

Ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit: Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) hat ein neues Integrationsgesetz angekündigt. Im Paket enthalten sollen verpflichtende Ein-Euro-Jobs für Asylberechtigte und ein Burkaverbot sein. Mit der SPÖ hat Kurz diesen Vorschlag davor nicht besprochen. Daraufhin hat Kulturminister und Regierungskoordinator Thomas Drozda (SPÖ) den Minister öffentlich gerügt und ihn als "Oppositionspolitiker" bezeichnet. Als Reaktion darauf hat wiederum ÖVP-Generalsekretär Peter McDonald Drozda gewünscht, den Koalitionspartner nicht medial abzuwerten und "zuerst vor der eigenen Haustüre zu kehren". Und schon befinden wir uns Mitten in der Routine der gegenseitigen Herabsetzung. Sogar über das Gebot, sich gegenseitig nicht schlechtzureden, kann diese Koalition streiten.

SPÖ und ÖVP schaffen es weiterhin nur in absoluten Ausnahmefällen, einander wertschätzend zu begegnen. Und dass, obwohl sie – wenn man ihren eigenen Aussagen Glauben schenken darf – bereits erkannt haben, dass ihnen das nur schadet. Wenn man sich gegenseitig die Vorschläge schlechtredet, wird sie auch die Öffentlichkeit nicht gut finden. Die Konsequenz daraus zeigt sich in der jüngsten Umfrage des STANDARD, wonach die FPÖ noch immer auf Platz eins ist. Trotz Ministerwechseln verlieren SPÖ und ÖVP Zuspruch. Es reicht nicht aus, nur die Personen auszuwechseln – obwohl das bei einigen Zündlern aus der alten Riege wohl schlau wäre –, diese Personen müssen auch anders handeln.

Im oben erwähnten Fall müsste Kurz die Vorschläge zur Integration zuerst mit der SPÖ diskutieren und im Anschluss gemeinsame Ideen präsentieren. Wie bereits mehrfach kolportiert, gibt es natürlich auch die Möglichkeit, dass der Integrationsminister gar kein Interesse daran hat, die Koalition gut aussehen zu lassen. In dem Fall spekuliert Kurz auf Neuwahlen und will sich selbst als neuen ÖVP-Spitzenkandidaten aufbauen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die FPÖ im Fall von Neuwahlen auf dem ersten Platz landen würde.

Gewohnheiten abzulegen ist zwar schwer, es wäre aber der bessere Weg für SPÖ und ÖVP, mit ihren Traditionen zu brechen. Unser Hirn speichert Routinen ab und reagiert wie mechanisch auf bestimmte Reize. So greift man zum Beispiel automatisch nach dem Aufstehen zum Smartphone, obwohl man sich vorgenommen hat, weniger Zeit im Netz zu verbringen. Evolutionstechnisch sind diese routinierten Handlungen gescheit, weil wir dadurch schneller handeln können. Sein Verhalten zu ändern ist dadurch aber doppelt schwer: Der Wille allein reicht nicht, wir müssen unserem Gehirn neue Gewohnheiten antrainieren. Vielleicht braucht die Regierung psychologische Beratung. (Lisa Kogelnik, 24.8.2016)