Der Österreicher Bernhard Kowatsch wechselte von der Unternehmensberatung in die Hungerhilfe. Das sei gar kein so weiter Weg, wie zunächst angenommen, sagt er. In der WFP-Zentrale in Rom sollte er zunächst eine Art interne Unternehmensberatung aufbauen, nachdem er in einer privaten Auszeit eine App zur Hungerhilfe auf den Markt brachte wechselte er nach München, zum neuen Standort für Innovationen.

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Kowatsch und sein Team fragten sich, warum das WFP nicht auch so innovativ sein kann, wie Google und Co. Nun soll die Hungerhilfe durch Apps und Start-up-Spirit an eine jüngere Zielgruppe angepasst werden. Auf dem Bild sieht man das von ihm und einem Kollegen gestartete Projekt "Share the Meal".

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Die Idee hinter "Share the Meal": Per Knopfdruck können 40 Cent ans WFP gespendet werden. Auf dem Smartphone kann direkt verfolgt werden, wo und für wen das Geld eingesetzt wird.

ShareTheMeal

Bei den Worten Innovation und Uno denken viele zunächst an einen Gegensatz: zu riesig die Organisation, zu bürokratisch, zu starr die Strukturen – zumindest wird das den Vereinten Nationen nachgesagt. Das stimme zumindest beim UN World Food Programme (WFP) nicht, sagt Bernhard Kowatsch, der dort für Innovationen im weltweiten Kampf gegen den Hunger zuständig ist. Der ehemalige Unternehmensberater setzt auf Start-up-Mentalität und neueste Technologien für Lösungen gegen Hunger.

STANDARD: Fünf Jahre für eine große Beratung, dann der Wechsel zur Uno. Wie groß war die Umstellung?

Kowatsch: Es war gar nicht so anders als erwartet. Konzerne in der Privatwirtschaft funktionieren eigentlich recht ähnlich wie die Uno. Entscheidungsprozesse hängen nicht an einer Person, man muss sich mit mehreren Leuten absprechen, es gibt Kontrollmechanismen, was bei der Uno ja ganz wichtig ist. Dazu kommt, dass meine erste Aufgabe beim WFP in Rom war, eine Art interne Unternehmensberatung aufzubauen. Wir starteten mit einem kleinen Fokus auf Prozessverbesserungen und darauf, wie man die Organisation effizienter gestalten kann. Mit der Zeit haben wir dann auch größere Projekte für das Topmanagement zur allgemeinen Strategie und zu neuen Geschäftsmodellen durchgeführt.

STANDARD: Sie haben dann nach einiger Zeit eine Auszeit genommen, um eine App zu verwirklichen: Auf "Share The Meal" kann man eine Mahlzeit für ein hungerndes Kind spenden – unkompliziert und schnell.

Kowatsch: Genau. Die Idee dahinter war, insbesondere eine jüngere Zielgruppe für die Bekämpfung des weltweiten Hungers zu gewinnen. Keine Formulare und Daueraufträge sondern schnelle Spenden, wenn man das gerade möchte. Als ich in der WFP-Zentrale in Rom anfing, erfuhr ich erst, wie wenig es kostet, ein Kind einen Tag lang zu ernähren: 40 Cent. So kam es zur App-Idee, die ich mit Sebastian Stricker, einem anderen WFP-Mitarbeiter, umzusetzen begann. Wir beschlossen, uns ein Jahr nur auf diese Aufgabe zu konzentrieren. Viele andere Kollegen – auch Manager – meldeten sich zur freiwilligen Hilfe, wir hatten ja kein Budget. Mein Kollege Sebastian Stricker betreut die App weiterhin fulltime, wir halten aktuell bei mehr als sieben Millionen geteilten Mahlzeiten, und für mich ging es mit Innovationen bei WFP weiter.

STANDARD: Wie kam es zur neuen Innovationsabteilung?

Kowatsch: Ursprünglich hatte ich die Idee schon vor "Share The Meal". Es gab zu dem Zeitpunkt kein Geld für risikoreiche neue Ideen. WFP ist zu 100 Prozent freiwillig finanziert, und die Spenden sind in den meisten Fällen zweckgebunden. Wir haben uns gefragt: Warum kann WFP nicht so innovativ sein wie Google und Co? Ich habe dann 50 Topmanager innerhalb von WFP interviewt und mit Experten aus anderen Unternehmen gesprochen. Die Fragen lauteten: Wo liegen Hemmnisse und was braucht die Organisation? So sind wir auf die Idee eines Innovation Accelerator gekommen. Daran erkennt man auch, dass es bei WFP Verständnis und Unterstützung für neue Wege und Ideen gibt. Ich denke, das kommt vom Nothilfecharakter der Organisation – sie ist sicher eine der aktiveren Organisationen in der Uno. Und Innovationen liebt ja grundsätzlich jeder, da muss man niemanden überzeugen. Die Abteilung "Innovation und Change Management" berichtet auch direkt an die Exekutivdirektorin des WFP, das zeigt die Wertigkeit.

STANDARD: Es ist das erste Innovationsprojekt dieser Art für die UNO. Wieso das Modell Accelerator?

Kowatsch: Wir haben uns verschiedene Modelle angesehen und uns an internationalen Start-up-Metropolen orientiert. Mittlerweile hat sich bereits herausgestellt, dass der Accelerator eine gute Wahl war. Die Kollegen und Entrepreneure haben nicht das Gefühl, dass wir ihnen die Ideen wegnehmen wollen – wir unterstützen sie nur: Wir haben ein kleines Innovationsteam, das ausgewählte Start-ups oder Projekte für drei bis sechs Monate unterstützt – monetär liegt der Wert jeweils zwischen 50.000 und 100.000 US-Dollar. Es geht also um Risikokapital, aber auch um eine Unterstützungsstruktur. Voraussetzung für die Projekte ist, dass sie zum Ziel "Zero Hunger" beitragen – ein breites Feld.

STANDARD: Und das Team, das die Projekte dann unterstützt, haben Sie zusammengestellt?

Kowatsch: Ja, wir haben in München mittlerweile 20 Mitarbeiter, aber 90 Prozent davon arbeiten direkt in den Projekten und sind dementsprechend in den verschiedensten Ländern. Mir war es wichtig, dass diese Leute einerseits Gründungserfahrung haben und die Prozesse und Kultur von Start-ups kennen, aber andererseits auch Erfahrung im Feld haben, vielleicht länger in einem Entwicklungsland gelebt haben oder von dort kommen.

STANDARD: Wo konnte schlussendlich das Geld aufgetrieben werden?

Kowatsch: Die deutsche Bundesregierung finanziert uns mit jährlich fünf Millionen Euro, fünf Jahre lang. Wir sind sehr oft mit den Ministerien in Kontakt, und es wird genau verfolgt, was wir mit den Geldern machen. Die Geldgeber konnten wir schlussendlich auch durch den Accelerator-Mechanismus überzeugen, weil die Prozesse dahinter dafür sorgen, dass Fehlschläge schnell entdeckt werden. Das Risiko ist gering, obwohl wir wissen, dass neun von zehn Start-ups scheitern. Mein Ziel ist es, pro Jahr mindestens zwei richtig gute Projekte dabeizuhaben.

STANDARD: Sie arbeiten in einer Organisation, deren Ziel es eigentlich ist, sich selbst abzuschaffen: Bis 2030 soll es keinen weltweiten Hunger mehr geben.

Kowatsch: Wir haben in den letzten 20 Jahren große Fortschritte gemacht: Die Zahl der Hungernden ist seit 1990 um 216 Millionen zurückgegangen. Allerdings – wenn wir mit derselben Geschwindigkeit weitermachen, dauert es wahrscheinlich länger als bis 2030. Der Accelerator ist ein Antriebsfaktor, deswegen kommt das Projekt intern gut an. Bei den Projekten, die wir jetzt schon unterstützen, sehen wir ja, dass es viele gute Ideen gibt, gerade im Bereich Ernährungssouveränität – sie müssen nur umgesetzt werden. Aber natürlich ist der Hunger ein sehr komplexes Problem, und es bedarf mehr als solcher Innovationen. Ohne politische Lösungen geht es nicht.

STANDARD: Frustriert es nicht, für ein so ehrgeiziges Ziel zu arbeiten?

Kowatsch: Für mich überwiegt der Mehrwert, was ich durch die weltweite Infrastruktur der Organisation bewegen kann. Natürlich gibt es unterschiedliche Befindlichkeiten, und man muss Menschen überzeugen – aber das gefällt mir. Nie darf man den Nothilfecharakter vergessen: Ich kann von Kollegen, die gerade Nothilfe in einem Krisengebiet wie Syrien leisten, nicht verlangen, für ein Innovationsprojekt alles stehen und liegen zu lassen.

STANDARD: Waren Sie ob des Konzerncharakters der Organisation überrascht?

Kowatsch: In gewisser Weise schon, die Prozesse sind ähnlich wie in einem riesigen Logistikkonzern. Auch die Mitarbeiter haben nicht alle einen klassisch humanitären Hintergrund, wie man das vielleicht denken würde – sie kommen auch aus der Privatwirtschaft oder zum Beispiel aus Logistikkonzernen – nur eben viel internationaler. Ich selbst sitze glücklicherweise an der richtigen Stelle, aber ich bin davon überzeugt; Innovativ sein und etwas verändern geht in jedem Job. Es braucht nur die richtige Einstellung dafür und gute Chefs, die neue Ideen fördern. (Lara Hagen, 1.9.2016)