Die Seminarwoche war der Auftakt in die Welt des Europäischen Forums Alpbach und hat die Gesamtheit der mehr als 700 Stipendiaten in der kleinen Alpbacher Hauptschule vereint. Mit der Qual der Wahl konfrontiert, gibt es hier einen Auszug aus drei der insgesamt 18 Seminare: Von Schattenseiten und Lichtblicken Afrikas zu den östlichen Nachbarn der Europäischen Union bis hin zu einem Gedankenexperiment jenseits der Karten.

Gemeinsame Herausforderungen

Fünf Vormittage lang suchten wir im Seminar "Die gemeinsamen Herausforderungen an die Europäische und Afrikanische Union" Antworten auf dringende Fragen unserer Zeit: Was animiert die zahlreichen Flüchtlinge zu ihrer gefährlichen Überfahrt nach Europa? Gibt es für sie so etwas wie eine Kosten-Nutzen-Rechnung vor der Flucht? Welche Verantwortung trägt Europa, wenn es darum geht, die Lebensumstände der Bevölkerung in afrikanischen Ländern zu verbessern? Was sind "legitime" Fluchtgründe, und gehört Klimawandel dazu? Hat der Klimawandel auch positive Auswirkungen auf die Bevölkerung in manchen Regionen Afrikas?

Das Besondere am Seminar sind einmal mehr die vielschichtigen Erfahrungen der Teilnehmer. Die Erzählungen der Studenten aus Äthiopien, Somalia, Gambia, Ghana und Uganda relativieren manche europäischen Vorurteile und geben einen realitätsnahen Einblick in diese Länder. Ihrer Kritik und Sorge bezüglich der Korruption, des fehlenden Zusammenhalts der Staaten in der Afrikanischen Union und des Brain-Drains aus Afrika steht jedoch auch ein starker Glaube an die positiven Entwicklungen des Kontinents gegenüber. Die kulturelle Vielfalt, der Reichtum an historischen Stätten sowie das innovative Unternehmertum werden immer wieder betont. Als Lichtblick für die zukünftige Entwicklung werden unter anderem auch aktuelle Initiativen im Bereich Müllmanagement, Infrastruktur und Aufforstung genannt.

Foto: Europäisches Forum Alpbach/Maria Noisternig

Was vom Seminar bleibt, sind zwei Gedanken. Einerseits die Botschaft eines Studenten, der überzeugt ist: "Wir können es auch in Afrika schaffen!" und andererseits das Resümee eines Vortragenden: "Um die Migrationsprobleme zu lösen, müsst ihr das globale Wirtschaftssystem verändern." Keine leichte Aufgabe, aber der Wille, etwas zu bewegen, ist da. (Lisa Panhuber)

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Die Europäische Union und ihre östlichen Nachbarn

Die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) hätte über die nötigen Instrumente und Ressourcen verfügt, um in der europäischen Nachbarschaft Einfluss zu üben. Dennoch steht das von Tobias Schumacher geleitete Seminar – er hat den Lehrstuhl für europäische Nachbarschaftspolitik am College of Europe in Natolin (Warschau) inne – vor der Frage, warum nicht alle Ziele der ENP erreicht werden konnten. Die Debatte wurde von den Experten Pierre Vimont, einem ehemaligen EU-Diplomaten und Senior Associate des Carnegie Europe Endowment und dem Österreicher Thomas Mayr-Harting, der im European External Action Service die Agenden für Europa und Zentralasien leitet, durch Einblicke aus der Praxis ergänzt.

Foto: Europäisches Forum Alpbach, Andrei Pungovschi

Ausgehend von einem historischen Rückblick wurde den Teilnehmenden bewusst, dass die aktuellen Krisen im Kaukasus und in der Ukraine die ENP nachhaltig verändern werden. So analysierte ein weißrussischer Student, dass die EU in Zukunft mehr mit dem im Schach halten eines "ring of fires" beschäftigt sein wird als mit dem Aufbau eines "ring of friends". Insofern müsste man auch ein "one size fits all"-Modell für alle sechzehn EU-Nachbarschaftsländer überdenken, während eine stärkere Diversifizierung der Nachbarschaftspolitik befürchten lässt, dass die Kohärenz des EU-Rahmenwerks nicht mehr bestehen wird. In der letzten Seminareinheit waren die Seminarteilnehmenden selbst dazu aufgefordert, sich in die Position der Entscheidungsträger zu versetzen – ein schwieriger Balanceakt, der die Komplexität des Themas einmal mehr bewusst machte. (Judith Bauder)

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Jenseits der Karten – und Fakten

Stellen wir uns vor, eine Schriftstellerin und ein Historiker diskutieren die gleiche historische Figur. Ein Leben wird faktisch ausgelegt und wieder zusammengesetzt, von Anfang bis zum Ende. Übrig bleiben ein paar blinde Flecken.

"We can't prove facts, that's why we need fiction", drückt es die kanadische Autorin Katherine Govier aus, während ihr akademischer Gegenpart verständnisvoll nickt. Der Professor des Wells Scholars Program an der Indiana University, Christoph Irmscher, kann sich diese Freiheit nicht nehmen, er muss stoppen, wenn es auch die Fakten tun. Diese Grenze überschreitet er aber freudig im Rahmen des Seminars "Beyond the Maps" und färbt mit Govier die Vergangenheit in neue Farben.

Govier geht als Geschichtenerzählerin noch ein Stück weiter in die Lebensgeschichte eines Menschen. Sie denkt Gespräche, Begegnungen und Gedanken dazu, stärkt die Stimmen, die aufhören zu klingen. Sie kreiert eine neue Landkarte, wenn sich die alte verliert. Und um diese Karten, die des Lebens, der Geografie und der Seele, dreht sich das Seminar. Kunstvoll verschmelzen die physischen Linien mit den psychischen und finden sich wieder in der Gestalt einer fein nuancierten Diskussion über die Welten zwischen Fantasie und Realität.

Foto: Europäisches Forum Alpbach/Maria Noisternig

Die Beispiele beschäftigen sich mit den Protagonisten ihrer Werke: "Creation" mit John James Audubon, einem Entdecker, und "The Ghost Brush" mit Katsushika Oei, einer Künstlerin, und anhand ihrer wahren und fantastischen Geschichten füllen sich sowohl die Stunden als auch die Köpfe mit herrlich abstrakten und geistvollen Bildern. (Franciska Göweil, 29.8.2016)