Ein Verbot der Verschleierung würde die Integration nicht befördern.

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Vier. Das ist die Antwort auf die Frage, wie viele bewaffnete Polizisten in Südfrankreich gegen eine Frau das Verbot durchsetzten, einen sogenannten Burkini zu tragen. Nicht zuletzt deshalb, weil sie "auf eine Zugehörigkeit zu terroristischen Bewegungen hinweisen, die gegen uns Krieg führen", wie ein Vertreter der örtlichen Behörden sich beeilte zu versichern.

Der Burkini als Uniform von weiblichen (Quasi-)Mitgliedern des "Islamischen Staats" (IS) also. Nichts anderes meint der Mann und sieht damit weitaus mehr in Gefahr als die öffentliche Ordnung. Unter dem Eindruck von diversen Terroranschlägen bemüht sich Frankreich um einen adäquaten Umgang mit realen und gefühlten Bedrohungen, weil beides der Bevölkerung nicht mehr zugemutet werden soll. Aber auch anderswo macht man sich schon seit geraumer Zeit Gedanken um verschleierte Frauen und wie man mit ihnen umgehen sollte. Immer wieder positionieren sich vor allem konservative Politikerinnen und Politiker für ein Verbot der Vollverschleierung, sprechen von Integrationshemmnis, Frauenrechten, falscher Toleranz und grassierender politischer Korrektheit.

Sich in die eigene Tasche lügen

Ein bisschen mögen sie sogar recht haben. Ein bisschen mehr lügen sie sich damit allerdings in die Tasche, sammeln ein paar billige Aktionismuspunkte und gerieren sich als Erben einer Aufklärung, deren Eurozentrismus sie geflissentlich übersehen. Während sie anderen Relativismus vorwerfen, ist ihnen der Unterschied zwischen den einzelnen Arten der Verschleierung und zwischen Religion und Frömmigkeit relativ egal. Sie wollen Weitsicht beweisen und übersehen dabei wichtige Details. Kaum jemand bestreitet beispielsweise, dass zahlreiche Frauen zur Verschleierung gezwungen werden und dass dieser Zwang verwerflich ist. Einen Entschleierungszwang nicht für das probate Mittel zu halten, um einem Verschleierungszwang etwas entgegenzusetzen, bedeutet nicht, dass man den Verschleierungszwang befürwortet.

Es bedeutet lediglich, dass man nicht von der Sinnhaftigkeit überzeugt ist, in diesem Fall eine Sittenpolizei durch eine andere zu ersetzen.

Religiöse Wirklichkeit der Gegenwart

Man kann die Tatsache anerkennen, dass es Frauen gibt, die einer strengen Auslegung von islamischer Frömmigkeit gerecht werden wollen, ohne dabei die Tatsache zu leugnen, dass es ebenso Frauen gibt, die in ein Schleiergefängnis gezwungen werden. Womit wir beim nächsten Punkt wären: Frömmigkeit. Dass Burka und Niqab gar nicht Ausdruck islamischer Religiosität sind, ist ein beliebtes Argument derjenigen, die ein Vollverschleierungsverbot befürworten.

Klingt richtig, erklärt aber überhaupt nichts. Tatsächlich geht es dort, wo kein Zwang vorliegt, um eine bestimmte Haltung, die in Religion wurzelt. Die kann man seltsam, überzogen und vieles andere finden. Man kann auch feststellen, dass sie sich nicht per se aus den religiösen Primärquellen ergeben muss. Der Koran schreibt Frauen ebenso wenig eine Vollverschleierung vor wie die Bibel Priestern und Nonnen das Zölibat auferlegt. Dies ändert aber nichts daran, dass beides zur religiösen Wirklichkeit der Gegenwart zählt. Das sollte man sich vor Augen halten, wenn CDU-Politiker Jens Spahn einen Satz wie "Burka geht gar nicht" sagt. Wofür er sich zweifellos an dieser Stelle aussprechen möchte, ist, dass der Zwang zur Vollverschleierung gar nicht geht. Wofür er sich dadurch gleichermaßen ausspricht, ist, dass vollverschleierte Frauen gar nicht gehen.

Wenig integrativ

Ein Verbot befördert somit nicht etwa Integration. Vielmehr täuscht es die Lösung eines Problems an und verlagert es dabei lediglich aus dem Sichtfeld. Eine Frau, der wegen des Tragens eines Niqabs der Besuch einer Abendschule untersagt wird, kommt in der nächsten Woche nicht einfach ohne. Sie kommt gar nicht mehr.

Die Studentin auch nicht. Was soll daran integrativ sein? Wie soll Kommunikation möglich sein, wenn sie wieder einmal mit einem "Zieh dir gefälligst etwas Vernünftiges an!" abgewiegelt wird? Gerade gegen ein solches Gebot wollten wir doch angehen. Aber weil Zwangslagen oft kaum greifbar und zu durchbrechen sind, führen wir einen Schleiertanz auf, deuten anklagend auf Stoffe und zeigen damit missbilligend auf Frauen. Schon wieder. (Nils Pickert, 28.8.2016)