Wie in Watte gepackt: Gioia Osthoff, Daniel F. Kamen, Isabella Wolf, Jens Ole Schmieder und Murali Perumal (v. li.) treten als Bühnenpersonal auf. Die rückwärtige Wand dient der Zuspielung von Videos, etwa mit der betörenden Zockerin Nastassja und Horst Schily als Trotzkij.

Foto: Andrea Klem

Reichenau an der Rax – Wohl hätte sich Fürst Myschkin auch an die Rax zurückziehen können, um seine Leiden, darunter namentlich die Epilepsie, in Abgeschiedenheit zu kurieren. Doch zog es den Sohn verarmten russischen Adels in Dostojewskis Der Idiot um 1860 in ein Sanatorium in der Schweiz. Von der Linderung, die er dort durch die Distanz zur Herkunft erfährt, beflügelt, begeht er bloß einen Fehler: den der Heimkehr nach St. Petersburg. Und in dessen, wenn schon nicht gute, so zumindest bessere Gesellschaft.

Etwa jene der schönen Schwestern Jepantschina. Deren Kleider (hübsch von Antoaneta Stereva) haben Taschen, die Damen haben mit ihren Händen ja auch sonst nicht viel zu verrichten, als sich zu fächeln und Popcornketten zu fädeln. So aristokratische Möbel kennt man hier wie den Sessel mit angebautem Beistelltischchen. Überzogen ist diese Welt mit weißem Plüsch (Lydia Hofmann). Leben, kultiviert und doch bedrückend wie ein Warten auf die eigene Hinrichtung. Glücklich sein, wie geht das, fragen sie den Heimkehrer. Und eigentlich fragen sich das alle. Zu ihrer Zerstreuung sind Isabella Wolf und Gioia Osthoff weiters Plaudertäschchen, dienen als Erzählerinnen, sind als solche auch nötig.

"Elefanten" auf der Bühne

"Elefanten" werden die fünf großen Romane Fjodor Dostojewskis oft genannt. Nicht, dass dem Theater die Dramen ausgingen, ist es im Fahrwasser von Regiemeister Frank Castorf trotzdem schick geworden, die Prosa des Russen auf die Bühnen zu bringen. Jener veranstaltet dazu vielstündige Material- und Textschlachten. Wie nur, so stellte sich denn auch Thalhof-Intendantin Anna Maria Krassnigg die zugehörige Frage, die 900 Seiten des Idioten (hervorragend neu übersetzt von Swetlana Geier!) in eine schlüssige Fassung für die Bühne packen?

Nun, erst einmal ausdünnen. Auf sieben Figuren hat sie das Personal heruntergefahren, nur fünf von ihnen treten auf die Bühne. In ihrem Zentrum: Daniel Frantisek Kamen als der junge Fürst mit kaum mehr am Leib als dem guten Namen und der ehrlichen Haut. Daraus erwächst der Umwelt des Bubenhaften eine naive Unverschämtheit. Ihm im Gegenzug zwar deren Zuneigung, doch gleichermaßen Unverständnis.

Unbedarft vor der Welt

Zwischen 1867 und 1869 im Schweizer Exil entstanden, ist sein Idiot wohl eines von Dostojewskis mühevollst errungenen Werken und reich an autobiografischen Bezügen. Einmal hat er den Roman vernichtet, eher er den zweiten Anlauf Kapitel für Kapitel per Zeitschrift in die Welt entließ. Derart gut ist der Unbedarfte, weil sein Schöpfer in ihm einen modernen Christus sehen wollte. Eine Erbschaft macht ihn später zum reichen Mann, aber nicht versteht er das Berechnende der Welt. Sein Geld hat kein Mascherl.

Vergleiche mit der Filmfigur Forrest Gump halten ebenso. Es sind (vom Ensemble nuanciert dargestellte) Welten, die im Unverständnis des Helden aufeinanderprallen und woraus die – notwendigerweise – auf Grundzüge verkürzte Handlung des Abends trotz Verlusten ihre Spannung hält: Der Hecht Rogoschin (Murali Perumal) etwa ist ein Prolet und die ihn betörende Nastassja (Michaela Saba) eine Selbstzerstörerin.

Der Alltagsmensch, der gute Mensch, ging Fjodor Dostojewski in der Literatur ab. Alle Autoren würden danach streben, ihre Figuren zu Typen zu machen, klagte er, "originell und selbständig (...) ohne nur im Geringsten die Gaben zur Selbständigkeit zu besitzen." "Normal" statt "originell" genannt zu werden, ist denn auch diesem Grüppchen in seinen 20ern die schlimmste Beleidigung.

Menschlich stumpf

Sacht philosophische Passagen bezeugen, dass diese Figuren nicht dumm sind, nur menschlich stumpf. Das endet tragisch, wie es muss. Jérôme Junod am Klavier (Musik: Christian Mair) sorgt während zweieinhalb Stunden für Atmosphäre. Die Akteure sind bravourös. Nach manchem Sommerlochtheater eine bemerkenswerte Herbsteinstimmung. (Michael Wurmitzer, 26.8.2016)