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Kramatorsk war Schauplatz der Kämpfe in der Ukraine. In einer Geheimdienstbasis soll es dort zu schwerer Folter gekommen sein.

Foto: REUTERS/Valentyn Ogirenko

597 Tage hat Viktor Aschichin an einem Ort verbracht, den es offiziell gar nicht gibt: in einem geheimen Foltergefängnis des SBU. SBU ist die Abkürzung für Sluschba Besopasnosti Ukrainy – den ukrainischen Geheimdienst. Am 7. Dezember 2014 klopften drei Uniformierte an Aschichins Haustür in Ukrainsk, 30 Kilometer westlich von Donezk. Als die Ehefrau öffnete, stülpten sie dem 59-Jährigen einen Sack über den Kopf und verfrachteten ihn auf eine Geheimdienstbasis in Kramatorsk.

Dort wurde er eigenen Angaben zufolge gefoltert. "Sie befahlen mir, mich auszuziehen, schlugen mir mit einem Rohr auf die Fußsohlen und stellten Fragen zu meiner Teilnahme am Referendum", erzählte Aschichin. Die prorussischen Rebellen hatten im Mai 2014 eine international nicht anerkannte Abstimmung zur Abspaltung der Donezker und Luhansker "Volksrepubliken" abgehalten. Die Führung in Kiew bezeichnete das Referendum als "illegitim".

Aschichin, als Sympathisant der Rebellen verdächtigt, wurde dreimal an einen anderen Ort verlegt, um seine Inhaftierung vor unabhängigen Beobachtern zu verbergen. Zuletzt war er in einem SBU-Gefängnis der ostukrainischen Millionenstadt Charkiw.

Eine ähnliche Geschichte erzählt der 34-jährige und ebenfalls aus Ukrainsk stammende Nikolai Wakaruk, der zwei Tage nach Aschichin verschleppt worden ist. Seinen Angaben nach trugen seine Folterer Abzeichen der Freiwilligenbataillone "Dnepr-1" und "Donbass". Sie prügelten ein Geständnis aus ihm heraus, als Informant für die Separatisten tätig gewesen zu sein. Als Wakuruk im vergangenen Herbst erkrankte und ins Krankenhaus musste, sei er dort mit falschem Namen eingeliefert, mit Handschellen ans Bett gefesselt und von einem SBU-Offizier bewacht worden, berichtete er.

Amnesty machte Druck

Aschichin, Wakuruk und weitere elf Gefangene wurden nun auf Druck der Menschenrechtsorganisationen "Amnesty International" und "Human Rights Watch" (HRW) freigelassen. "Die Mitarbeiter des SBU haben sie in einem gepanzerten Kleinbus mit einem schwarzen Sack über dem Kopf aus Charkiw rausgefahren. Vor der Freilassung wurden ihnen ihre Pässe wiedergegeben und zwischen 50 und 200 Hrywna für Transportkosten. Die Entführer forderten die Verhafteten auf, über ihre geheime Haltung hinter Gittern Stillschweigen zu bewahren", schrieben Rachel Denber und John Dalhuisen, die Europa- und Zentralasienchefs von HRW und Amnesty, in einem offenen Brief an den Chef der ukrainischen Militärstaatsanwaltschaft, Anatoli Mathios.

Gegen keinen der Inhaftierten sei irgendwann während seiner Haftzeit offiziell Anklage erhoben worden, klagten die Menschenrechtler. Die zwölf Männer und eine Frau seien offenbar nur als Tauschmaterial einkassiert worden, um sie gegen von den Separatisten gefangen genommene ukrainische Soldaten auszutauschen. Die Separatisten seien allerdings mehr an der Rückgabe ihrer eigenen Kämpfer interessiert gewesen, sodass der Austausch nicht zustande kam.

Laut Renber und Dalhuisen sind mindestens noch fünf weitere Menschen in ukrainischen Geheimgefängnissen. Sie fordern die umgehende Freilassung der Inhaftierten und eine Aufklärung der Fälle. "Das kontinuierliche Ableugnen gewaltsamer Entführungen und geheimer Festnahmen fördert ein Klima der Gesetzlosigkeit und lässt gravierenden Menschenrechtsverletzungen weiter ungestraft", warnen die Bürgerrechtler.

Kiew weist Vorwürfe zurück

In Kiew werden die Vorwürfe zurückgewiesen. Der ehemalige Vizegeneralstaatsanwalt Nikolai Golomscha erklärte, die Sicherheitskräfte in Charkiw würden von "gesetzestreuen Profis" angeführt, die sich wohl kaum mit "so etwas abgeben". Auch aus der Präsidialverwaltung hieß es "Illegale Verhaftungen sind nicht unsere Methode".

Auch vom Geheimdienst kam am Montag ein heftiges Dementi zu den Geheimgefängnissen: "Die Erklärungen, dass dort Menschen festgehalten werden, entsprechen nicht den Tatsachen", erklärte der Chef des SBU-Apparats Alexander Tkatschuk. In Charkiw gebe es zwar eine SBU-Einheit, die sich mit vorgerichtlichen Untersuchungen befasse und in U-Haft befindliche Verdächtige befrage. Doch diese würden nicht in geheimen Gefängniskammern des SBU gehalten, sagte er.

Die Folter- und Entführungsvorwürfe haben Amnesty und HRW auch schon gegen die Separatisten erhoben. Wie nun Kiew haben aber auch die Rebellen alle Vorwürfe als haltlos zurückgewiesen. (André Ballin, 29.8.2016)