Nicolas Scandella und Ninon Roux servieren in ihrem Léontine große französische Küche um ziemlich wenig Geld.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Das mächtige Entrecôte ist trocken gereift, wird mit Steinpilzen und Melanzani kombiniert und wirklich gut gebraten.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Nicolas Scandella ist ein großer Koch, hierorts aber völlig unbekannt. Ist auch kein Wunder: Der Mann werkt erst seit einem Monat in Wien, in einem frisch renovierten, zuletzt schon sehr zerlemperten Beisl des Landstraßer Botschaftsviertels – also in jener Gegend der Stadt, die selbst für Supermärkte zu fein ist, für ordentliche Wirtshäuser sowieso.

Zuletzt waren Scandella und seine aus Wien gebürtige Lebensgefährtin Ninon Roux im westschweizerischen Fribourg in einem Restaurant tätig, das dem strengen Schweizer "Gault Millau" auf Anhieb zwei Hauben wert war. Den überwiegenden Teil seiner Karriere aber hat Scandella in Frankreich absolviert und bei einigen der größten Köchinnen (Anne-Sophie Pic) und Köche (Michel Troisgros) des Mutterlandes der guten Küche in verantwortlicher Position gekocht.

Dass Scandella und Roux ihr neues Projekt jetzt in Wien starten, ist der gemeinsamen Tochter geschuldet: Sie soll zweisprachig aufwachsen, ihr zweiter Vorname, Léontine, ist auch der Name des eben eröffneten Restaurants.

Klischees und mehr

Dass es ziemlich hübsch geworden ist, verwundert in Erinnerung des abgenudelten Tschocherls, das die vergangenen Jahrzehnte hier angesiedelt war. Die schöne Schank konnte erhalten werden, ansonsten aber musste vom Bodenbelag über die Einrichtung bis zur Küche alles raus. Kommendes Jahr soll es einen Schanigarten geben.

Die Karte scheint alle Klischees zu bedienen, die man in Zentraleuropa mit der Küche der Franzosen assoziiert: Es gibt Foie gras ebenso wie Froschschenkel, natürlich ein mächtiges Entrecôte (trocken gereift, mit Steinpilzen und Melanzani kombiniert und, siehe Bild, wirklich gut gebraten), hinterher Käse und, eh klar, eine Tarte au chocolat.

Aber eben auch roh marinierte Bachforelle mit Pomelo, Kaffirlimette und Gurke, ein zartes, fast schwebendes Gericht, bei dem alle Aromen wie selbstverständlich zusammenspielen, ohne die Milde der Forelle zu überdecken – wirklich groß.

Oder fantastisch süße, aromatische Paradeiser, zimmerwarm serviert, mit sanft salzigem Feta und Zitronenbasilikum – eindeutig die höhere Salatschule. Die Foie gras – klassisch mit hauchdünnen Scheibchen geräucherter Entenbrust geschichtet und mit Yuzugelee kombiniert, dessen herb exotische Frucht wie ein Lichtstrahl durch die Geilheit der Fettleber schneidet – ist auf sehr feine Art auskalibriert.

Und die Froschschenkel? Sind außen knusprig, innen extrem saftig und zart, sodass man nach langer Zeit wieder ahnt, warum sie bei Kennern seit Jahrhunderten legendären Ruf haben. Leider funktioniert die Kombination mit poelierten Süßkartoffeln und Spinat nicht ganz so gut, ein aggressiver Bitterton (zu viel Hitze in der Pfanne?) drängt sich am Gaumen vor – schade.

Zander wie Zankl

Zander wird, wiewohl tadellos gebraten, von knackigen Krautröllchen mühelos ausgestochen, die Scandella ihm zur Seite legt. Wirkt beinahe wie die Variation eines Gerichts, das Wolfgang Zankl im Pramerl & the Wolf – einem anderen Ex-Tschocherl mit großer Küche – serviert. Nur wird das Jungkraut hier mit Speckfond rauchig gemacht und bekommt mittels Sanddorn saure Fruchtigkeit verpasst. Zankl ist im Übrigen einer jener jungen Köche in Wien, die Scandella gleich "schwer beeindruckt" haben.

Die Weinkarte ist voll mit unbekannten Franzosen zu verdammt guten Preisen, in naher Zukunft soll es noch deutlich mehr davon geben: Ninon Roux hat mit einer Reihe kleiner Güter Kontakt aufgenommen, deren Weine sie direkt beziehen will – weil es sie in Wien noch nicht gibt. Schönen Dank, dass sie ihren Liebsten zu uns locken konnte – solche Köche brauchen wir! (Severin Corti, RONDO, 2.9.2016)