Bild nicht mehr verfügbar.

Zerstückelt würde das Möbel Lombrico auch für kleine Wohnungen funktionieren. Marco Zanuso schuf es 1967 für das Unternehmen C & B, das heute B & B Italia heißt.

Foto: B&B Italia

Bild nicht mehr verfügbar.

Große Klassiker: Der klappbare Radio und ...

Foto: TV-yesterday / Interfoto / picturedesk.com

Bild nicht mehr verfügbar.

... ein Fernseher für Brionvega (beides gemeinsam mit Richard Sapper entworfen).

Foto: TV-yesterday / Interfoto / picturedesk.com

Bild nicht mehr verfügbar.

Der Sessel Woodline für Cassina.

Foto: Cassina

Bild nicht mehr verfügbar.

Er war Architekt, Städteplaner, großer Designer und Materialforscher: der Italiener Marco Zanuso.

Foto: B&B Italia

Vater des italienischen Designs wurde Marco Zanuso genannt. Auch Rationalist, Lehrer und Musenkenner. Väter des italienischen Designs gibt es noch mehr, auch Onkel und Großväter. Man denke an die Namen Castiglioni, Magistretti, Sottsass, Colombo und all die anderen aus dem Gestalterrudel, die das Land zu einer Designweltmacht aufsteigen ließen. Mütter und Tanten mischten dabei leider weniger mit, aber das ist eine andere Geschichte.

Dies ist die Geschichte von Marco Zanuso, der vor 100 Jahren, mitten im Ersten Weltkrieg als fünftes von sechs Kindern einer Arztfamilie zur Welt kam. Gestorben ist er vor 15 Jahren, ebenfalls in Mailand, das auch dank Zanuso zu einem Weltzentrum des Designs wurde.

Eleganz mit Twist

Zanuso war ein besonderer Papa. Er schuf als Pionier des italienischen Wirtschaftswunders Ikonen ebenso wie solide Objekte, die auch ohne die Marke Zanuso großartige Figur machen und bis heute bei Herstellern im Sortiment sind, darunter Alessi, Cassina oder Zanotta. Der Gestalter war, so wie dies im Italien der Nachkriegszeit auf viele Designer zutrifft, auch Architekt und Stadtplaner. Er entwarf die Fabriksgebäude für Olivetti in Buenos Aires und São Paulo, auch für IBM entstanden mehrere Gebäude sowie Ferienhäuser auf Sizilien oder das Stadttheater von Bozen, Zanusos letzter Bau im Jahre 1999. Auch Journalist war er. Zwei Jahre bei "Domus", dann bei der Zeitschrift "Casabella".

In erster Linie war er allerdings Designer. Seine Objekte bestechen bis heute durch Eleganz, hier gepaart mit Großzügigkeit, dort mit Flippigkeit. Unter beidem musste die Funktionalität nie leiden. "Ich versuche, der sogenannten Komplexität mit einem Projekt eine Form zu verleihen", sagte Marco Zanuso einmal. Schaut man sich seine Stücke an, ist von Komplexität nichts zu spüren. Von Form umso mehr.

Im Auftrag von Pirelli begann er mit Schaumgummi zu experimentieren, dabei kam 1951 der Sessel Lady heraus mit seinen nierenförmigen Armlehnen, ein Wonneproppen von einem Möbel. Der Erfolg mündete in der Gründung der Firma Arflex, für die Zanuso weitere Objekte entwarf, darunter das Ausziehbett Sleep-o-matic oder der einladende Sessel Woodline aus Leder und Sperrholz, ein italienischer Aalto könnte man sagen. Kollege Alessandro Mendini, auch kein Kleiner des italienischen Designs, stieg angeblich einmal die Neidesröte ins Gesicht, als er über die Industriedesignentwürfe Zanusos sagte, "Die Objekte sind so genau und so unangreifbar, dass es einen geradezu ärgern kann." Das vermeintliche Geheimnis dahinter lehrte der vielfach preisgekrönte Zanuso 30 Jahre lang am Mailänder Politecnico. Einer seiner Assistenten hieß Renzo Piano.

Pionierhaft waren nicht nur seine Entwürfe, sondern auch sein Denken, das gerade in unseren Tagen vermehrt Sehnsüchte nach Figuren wie Zanuso weckt. "Es müssen keine Wünsche beim Publikum geweckt werden, solange Bedürfnisse bestehen", sagte er einmal. Heute würde er mit einem solchen Sager aus so mancher Konzernzentrale hochkant rausfliegen.

Cooles Duo

Mit Richard Sapper, eine Art Papa des deutschen Designs, der vergangenes Silvester verstorben ist, kreierte Zanuso über viele Jahre Stücke, die es zu ganz besonderer Prominenz brachten. Wer kennt ihn nicht, den würfelförmigen, aufklappbaren Radio TS502 für Brionvega aus dem Jahre 1964 oder die tragbaren, poppigen Fernsehgeräte – in Form gebrachtes Feeling der 1960er-Jahre. Design wie ein Song von Gianni Morandi und doch erstaunlich vorausblickend. Ebenso zukunftsweisend stammt aus diesem Wurf das Klapptelefon Grillo ein formschönes, fein ausgetüfteltes Objekt, das wie ein Flussstein, der vom Strom über Jahrtausende geformt wurde, in der Hand liegt.

Orientieren sich heute viele Designer wieder an Holz, Glas und sogar Marmor, war die Zeit Zanusos die Epoche der Neugierde nach neuen Materialien. Als wären diese Zauberstäbe, versuchten sich weltweit Gestalter wie die Eames, Panton oder eben auch Zanuso an neuen Werkstoffformeln für neue Formen, widmeten sich der Materialanalyse und Technologieforschung. Besonders in Sachen Polyethylen durften sich die "Kunststoffpioniere" der 1960er-Jahre austoben. Geringe Produktionskosten, niedriges Gewicht und die Flexibilität in Sachen Farben und Form ermöglichten die Produktion flippiger Möbel.

Eines davon war der wetterfeste, stapelbare und frohgemut wirkende Kinderstuhl, den Marco Zanuso gemeinsam mit Sapper in den Forschungshallen der Firma Kartell ausbaldowerte. Für Stabilität sorgten Verbindungsteile, die den Stuhl in einen modularen Baukasten verwandelten. Zanuso wollte damit die Fantasie des Kindes stimulieren, es zum Bauen von Burgen, Türmen, Zügen und Rutschbahnen anregen. Zanuso selbst war angeregt vom vielleicht wichtigsten Motor, der Designergrößen vieler Länder und Epochen eint und zu solchen Vaterfiguren werden ließ. Auf die Frage nach Zanusos hervorstechendstem Merkmal, sagte dieser: "Wissbegierde". (Michael Hausenblas, RONDO, 22.12.2016)