Bruno Kreisky ist seit einem Vierteljahrhundert tot. Die Lichtgestalt der heimischen Sozialdemokratie kann sich nicht wehren, wenn ihn einer seiner Erben in einer argumentativen Verrenkung – man könnte auch sagen: Chuzpe – vereinnahmt. Er habe sich überlegt, was Kreisky heute getan hätte, hob Christian Kern per Facebook-Video an, um im nächsten Atemzug eine Tradition zu beerdigen, die ebendieser Kreisky begründet hatte: Die Regierungsspitzen wollen sich den Auftritt vor den Medien nach dem wöchentlichen Ministerrat künftig ersparen.

Natürlich: Nicht jedes "Pressefoyer" bescherte dem politischen Diskurs eine Sternstunde. Fragen waren mitunter seicht, Antworten alles andere als ergiebig. Doch die eine oder andere schlechte Aufführung rechtfertigt nicht, eine ganze Bühne zu schließen, die einen vergleichsweise ungefilterten Blick auf die Politik bot. Wo sonst müssen sich Kanzler und Vize in Echtzeit zu Themen erklären, die ihnen ohne Vorwarnung unter die Nase gerieben werden?

Die versprochenen Alternativen bieten dieses Schauspiel nicht. In einem "Kanzlerblog" kann sich Kern nach Belieben aussuchen, wem er auf welche Frage antworten lässt, mit Abstrichen gilt das auch für Interviews in den Medien. "Hintergrundgespräche", wie sie der SPÖ-Chef nun intensivieren will, können für Journalisten spannend sein, sind aber ebenfalls eine steuerbare Plattform.

Dass die Regierungskoordinatoren künftig Ministerratsbeschlüsse vorlegen wollen, ist zwar löblich, entlässt Kern jedoch nicht aus der Pflicht: Es ist ureigene Aufgabe eines Bundeskanzlers, die eigene Politik öffentlich zu erklären.

Angesichts seines Rückzugs in den geschützten Bereich wäre es stimmiger gewesen, hätte Kern nicht Kreisky als Vorbild aus den Siebzigern bemüht, sondern den einstigen Bürgermeister Leopold Gratz. Unter ihm hatte die Wiener SPÖ plakatiert: "Keine dummen Fragen stellen." (Gerald John, 30.8.2016)