Robert-Jan-Smits erkennt die Schwächen des österreichischen Innovationssystems: Fehlende Mittel für Start-ups, mangelnde Technologieakzeptanz und ein schwaches Universitätssystem.

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STANDARD: Kann Großbritannien nach dem geplanten Austritt aus der EU genauso wie die Schweiz, Norwegen und Israel an EU-Forschungsprogrammen teilnehmen?

Smits: Der Antrag zum EU-Austritt wurde ja noch nicht gestellt, deshalb kann ich dazu noch nichts sagen. Was aber sicher ist: Forschung und Innovation werden eine wichtige Rolle bei den Verhandlungen spielen. Das wäre noch vor zehn, zwanzig Jahren anders gewesen. Heute ist jedem Land in der EU klar, wie wichtig diese Themen für die wirtschaftliche Entwicklung eines Standorts sind. Die Briten haben Angst, im Zuge des Austritts ihre Position als wichtiger Wissenschaftsstandort zu verlieren. Es herrscht eine große Unsicherheit – nicht nur bezüglich des Verbleibs von 30.000 Spitzenforschern aus den EU-Ländern in Großbritannien oder von britischen Forschern innerhalb der EU.

STANDARD: Was passiert dann mit laufenden EU-Forschungsprojekten?

Smits: Ich werde das oft gefragt: Forscher wollen Projekte mit britischen Wissenschaftern einreichen und haben Sorge, dass der Brexit auf ihr Projekt Einfluss nehmen könnte. Es gibt da nur eine Antwort: Bis jetzt haben wir business as usual. Großbritannien ist nach wie vor Teil der EU. Was nach dem Austritt passiert, kann man noch nicht sagen, das werden die Verhandlungen zeigen. Wir wissen derzeit noch nicht, wie es laufen wird. Ein schwedischer Forscher fragte mich neulich, ob er ein Angebot aus England annehmen soll. Es gibt Unruhe im System – und Unruhe wirkt sich nie gut aus.

STANDARD: Sehen Sie schon unmittelbare Folgen?

Smits: Mark Ferguson, Chef des irischen Forschungsrats, sagte schon, man möge nach Irland kommen. Auch dort gebe es Spitzenforschung. Er ist recht schnell dazu bereit gewesen, einzuspringen. In den Niederlanden sagen wir: "Des einen Tod ist des anderen Brot."

STANDARD: Was erwarten Sie selbst von den Austrittsverhandlungen in Sachen Forschung?

Smits: Wichtig wird sein, dass wir trotz Austritts eines wichtigen Players in Europa weiterhin zusammenarbeiten. Das heißt für mich nicht nur, dass Wissenschafter jederzeit zwischen Großbritannien und der EU den Arbeitsplatz wechseln können. Das heißt auch, dass es weiterhin Kooperationen geben muss. Die Verhandlungen werden sicher hart sein. Die Briten werden bestimmt nicht "Cherry picking" betreiben können, sich also nicht die süßen Kirschen holen dürfen. Sie werden sich aber auch nicht ganz von der EU abwenden können. 60 Prozent ihrer internationalen Beziehungen sind Beziehungen mit europäischen Ländern. Ich vertraue da auf vernunftgetriebene Entscheidungen, die es in Großbritannien gibt und geben wird.

STANDARD: Welche Rolle spielt eigentlich Österreich auf der europäischen Innovationslandkarte?

Smits: In einigen Bereichen ist Österreich sehr gut aufgestellt. Mir fallen die Quantenphysiker ein, der Automotive-Cluster in der Steiermark und Biomedizin in Wien. Und Österreich ist das erste Land in Europa mit einer Open-Innovation-Strategie. Was ich aber sehe: die niedrige Akzeptanz von Technologien. Das ist übrigens kein österreichspezifisches Problem: Auch in Deutschland ist man sehr skeptisch. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte einmal: "Gut, dass wir die Dampfmaschine schon erfunden haben. Heute hätten wir ein Problem damit." In Österreich ist es auch noch schwierig, Start-ups zu gründen. Es gibt wenig Venture-Capital. Und ein dritter Punkt: die Universitäten. Unter den Top 100 im Times Higher Education Ranking ist keine einzige österreichische Uni. Da müsste man viel besser selektieren, um von der Massenuni wegzukommen und mehr Qualität zu schaffen. Es bräuchte eine Exzellenzinitiative.

STANDARD: Derzeit fehlt das Geld dafür. Forscher müssen auf europäische Forschungsprogramme wie Horizon 2020 oder auf die Calls des Europäischen Forschungsrats ERC ausweichen.

Smits: Das wollen wir nicht. EU-Forschungsprogramme sollten ein Zusatz, kein Ersatz sein. Wir wollen die fehlenden nationalen Finanzierungsmöglichkeiten nicht kompensieren. Die Staaten, die national am meisten in Forschung investieren, sind auch bei EU-Programmen am erfolgreichsten. (Peter Illetschko, 4.9.2016)

Robert-Jan Smits, geboren 1958, ist Niederländer und seit 2010 Generaldirektor "Forschung und Innovation" der EU. In Alpbach sprach er unter anderem über Open Innovation.