Von Menschen, die neu in Österreich sind, erwarten wir, dass sie sich möglichst schnell in die Gesellschaft einfügen. Doch wie soll das gelingen, wenn wir sie gleichzeitig zum Nichtstun zwingen?

Bald öffnen Österreichs Schulen wieder ihre Tore. Doch auch im neuen Schuljahr bleibt für viele Jugendliche der Zugang zu Bildung verschlossen. Tausende minderjährige Flüchtlinge sind weiterhin vor allem damit beschäftigt, Zeit abzusitzen. Im Flüchtlingsquartier, im Park, auf der Straße.

Denn mit dem Ende des Pflichtschulalters endet für Asylsuchende das Recht zu lernen. Nur in Ausnahmefällen dürfen minderjährige Flüchtlinge über 15 weiterhin mit österreichischen Jugendlichen im Klassenzimmer sitzen oder einen Beruf erlernen.

Der große Rest muss sich mit ein paar Stunden Deutschkurs pro Woche begnügen. Ein Kurs an der Volkshochschule – mit anderen Flüchtlingen – kann niemals das ersetzen, was das tägliche Lernen mit österreichischen Jugendlichen für die Integration leistet. Wer verstehen will, wie die Leute hierzulande ticken, muss eines tun: mit ihnen in Kontakt kommen.

Gerade für junge Menschen ist ein Leben in der Warteschleife schwer zu ertragen. Sie strotzen vor Tatendrang und Wissensdurst, wollen sich nützlich machen – und verstehen die Welt nicht mehr, wenn sie von allen Seiten ein Nein zu hören bekommen.

Tagesstruktur geben

Einige Hilfsorganisationen achten darauf, den von ihnen betreuten jungen Flüchtlingen eine Tagesstruktur zu geben, stellen eigene Arbeitstrainings und Lernprogramme zur Verfügung. Das ist kostenintensiv und nur in kleinen Wohneinheiten möglich, wie SOS-Kinderdorf sie führt. In Großquartieren und Heimen bleiben Jugendliche meist sich selbst überlassen.

Wenn wir zulassen, dass jungen Menschen die Möglichkeit genommen wird, zu lernen und sich zu entfalten, schauen wir einer verlorenen Generation beim Großwerden zu. Mit allen Konsequenzen: Kriminalität, Arbeitslosigkeit, Radikalisierung. Zu glauben, das Problem würde sich von selbst lösen, wäre fatal. Denn der Großteil der 6500 minderjährigen Flüchtlinge, die ohne ihre Eltern in Österreich gestrandet sind, wird langfristig im Land bleiben. Die Versäumnisse von heute rächen sich also morgen.

Es braucht dringend eine Ausbildungs- und Lehrplatzoffensive für minderjährige Flüchtlinge. Einzelne Projekte gibt es ja bereits. Das Jugendcollege in Wien, das Minerva-Bildungsprogramm von SOS-Kinderdorf in Salzburg, auch Initiativen wie Prosa (Projekt Schule für alle), lobby.16 oder MyKey – Leben und Arbeiten in Tirol sind Türöffner für eine weitere Ausbildung.

Ein Plan fehlt

Es fehlt ein bundesweiter Plan, wie jungen Flüchtlingen – unabhängig von ihrem Asylstatus – flächendeckend Zugang zu Bildung und Ausbildung verschafft werden kann. Die vieldiskutierte und kürzlich beschlossene Ausbildungspflicht bis 18 wäre eine Chance gewesen, hier einen ersten wichtigen Schritt zu setzen. Leider wurde sie nicht ergriffen: Minderjährige Flüchtlinge sind aus diesem Gesetz explizit ausgenommen. Die geplanten Maßnahmen, um junge Menschen weg von Hilfsarbeiterjobs und zurück in Ausbildungen zu bringen, sind ausschließlich für einheimische Jugendliche vorgesehen. Für junge Asylsuchende wurde stattdessen eine Aufstockung der Sprachkursangebote in Aussicht gestellt. Zweifellos eine wichtige Investition. Deutschlernen allein ist aber noch keine Ausbildung.

Österreich ist nicht das einzige Land, das sich bei der Eingliederung geflüchteter Menschen in den Arbeitsmarkt schwertut. Auch andere europäische Länder haben dabei ihre Schwierigkeiten. Das hat zuletzt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung gezeigt.

Einige scheinen aber die Bedeutung von Schule und Ausbildung für die Integration erkannt zu haben. So gilt etwa in Belgien die Schulpflicht von sechs bis 18 Jahren – und zwar für alle Kinder, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus. Lettland hat bereits 2010 eine eigene Verordnung erlassen, die den Bildungszugang für minderjährige Flüchtlinge garantiert, auch während des Asylverfahrens. Geflüchtete Kinder und Jugendliche erhalten in jedem Unterrichtsfach Förderstunden, um so Schritt für Schritt in den Regelunterricht der Schulen zu finden.

Hamburger Modell

Die Stadt Hamburg hat neue Angebote geschaffen, um geflüchtete Jugendliche unabhängig von ihrem Asylstatus auf das spätere Berufsleben vorzubereiten. Die kürzlich gestartete zweijährige Ausbildungsvorbereitung für Migrantinnen und Migranten beinhaltet eine intensive Sprachförderung, ein Praktikum in einem Betrieb sowie den Besuch einer Berufsschule.

Gleiche Chancen für alle

Hierzulande betonen diverse Regierungsmitglieder zwar in regelmäßigen Abständen, dass sie in einem Land leben wollen, in dem alle Kinder dieselben Chancen haben – unabhängig davon, wo sie wohnen und wer ihre Eltern sind. Solange asylsuchende Kinder und Jugendlichen davon ausgenommen sind, sind das bloß leere Worte. (Wolfgang Arming, 31.8.2016)