In der Ruhe liegt die (Schaffens-)Kraft: Ein Jahr nach ihrer "Wir schaffen das"-Aussage setzt die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel weiterhin auf die Solidarität der EU-Staaten.

Foto: Imago / Jan Huebner

Es war klar, dass diese Frage kommt. Ob das "Wir schaffen das" vom 31. August 2015 ein guter und richtiger Satz gewesen sei und nach wie vor gelte, wollte die Süddeutsche Zeitung in ihrem Interview zum Jahrestag von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel wissen. Deren Antwort: "Ja. Selbstverständlich."

Doch Merkel hat nun erstmals auch Fehler in der Asylpolitik eingeräumt. Diese seien jedoch nicht im vergangenen Jahr, sondern schon früher passiert. "Auch wir Deutschen haben das Problem zu lange ignoriert und die Notwendigkeit einer gesamteuropäischen Lösung verdrängt", sagte sie. Schon 2004 und 2005 seien viele Flüchtlinge nach Europa gekommen, "und wir haben es Spanien und anderen an den Außengrenzen überlassen, damit umzugehen", räumte Merkel ein. "Und ja, auch wir haben uns damals gegen eine proportionale Verteilung der Flüchtlinge gewehrt. Das kann ich nicht leugnen."

220.000 Neuankünfte seit Jahrebeginn

Merkel bleibt dennoch bei ihrem Kurs. Sie will weiterhin andere EU-Staaten davon überzeugen, Flüchtlinge aufzunehmen. Nach Deutschland kamen im Jahr 2015 mehr als eine Million Flüchtlinge. Merkel versprach zum Jahresanfang 2016, vor allem auf Druck der CSU hin, diese Zahlen "spürbar zu reduzieren". Das ist gelungen, weil die Staaten in Südost-Europa die Balkan-Route abgeriegelt haben.

In den ersten sechs Monaten kamen rund 220.000 Menschen neu nach Deutschland. Die Zahl der Neuankömmlinge sinkt seit Jahresbeginn beständig, im Juli 2016 wurden nur noch rund 16.000 Flüchtlinge erfasst. Jürgen Weise, der Leiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf), rechnet, dass zum Jahresende 2016 rund 300.000 Flüchtlinge neu nach Deutschland gekommen sein werden. Er räumte auch ein: "Wenn mehr kommen, kommen wir unter Druck."

Denn seine Bundesbehörde hat noch viel mit der Aufarbeitung der "Fälle" von 2015 zu tun. Obwohl im Bamf deutlich mehr Personal eingestellt wurde und dieses nun 8000 Mitarbeiter hat, sind noch mehr als eine halbe Million Anträge auf Asyl nicht bearbeitet. Erst Ende September wird es laut Weise so weit sein, dass alle Flüchtlinge in Deutschland überhaupt einen Antrag gestellt haben.

Kanzlerin im Umfragetief

Die Asylpolitik hat Merkel im vergangenen Jahr viele Sympathien gekostet. Derzeit würden laut einer Forsa-Umfrage gerade noch 33 Prozent für Merkel und die Union stimmen. Damit ist der Wert, im Vergleich zur Vorwoche, um zwei Prozentpunkte gesunken. Zum Vergleich: Bei der Bundestagswahl 2013 schaffte die Union 41,5 Prozent, vor etwas mehr als einem Jahr – im Sommer 2015 – lag sie in Umfragen im Bereich der absoluten Mehrheit.

Merkel nahm auch zum Thema Flüchtlinge und Terrorismus Stellung und warnte davor, zu glauben, "dass erst mit den Flüchtlingen der Terrorismus gekommen ist, denn der war schon vorher da in verschiedensten Formen und vor allem mit den vielen Gefährdern, die wir zu überwachen haben". Die Mehrheit der Flüchtlinge wünsche sich Ruhe "und eine neue Chance, zu leben". (Birgit Baumann aus Berlin, 31.8.2016)