Die Bundesregierung muss sich oft den Vorwurf gefallen lassen, zu wenig tatkräftig zu sein – doch manchmal würde man sich wünschen, sie wäre einen Hauch zaghafter. In jüngster Zeit mehren sich Vorhaben, die in Konflikt mit EU-Recht zu stehen drohen. Die Regierung scheint das in Kauf zu nehmen. Und es ist wohl kein Zufall, dass all diese Vorhaben thematisch im Flüchtlings- und Migrationsbereich angesiedelt sind.

Die sogenannte Notverordnung zur Durchsetzung der Asylobergrenzen ist ein aktuelles Beispiel. Die diskutierte Kürzung der Mindestsicherung für Flüchtlinge ist ein weiteres. Auch die von der SPÖ vorgeschlagene Residenzpflicht für Asylberechtigte hat nicht allzu große Chancen, in eine EU-rechtskonforme Form gegossen zu werden.

Warum aber riskiert die Bundesregierung sehenden Auges, heute mühsam gebastelte Reformwerke zu einem späteren Zeitpunkt wieder reparieren zu müssen? Es ist ein doppeltes Kalkül. Erstens signalisiert man den Wählern: Schaut her, wir tun eh was. Wenn das Gesetz am Ende gekippt wird, dann ist eben Brüssel schuld. Zweitens spielt man auf Zeit: Bis ein Vorhaben beim Europäischen Gerichtshof landet und dieser entschieden hat, kann es lange dauern – wohl so lange, dass die eigene Mannschaft dann ohnehin nicht mehr am Ruder ist. Ausbaden müssen es also andere.

Man kann das getrost verantwortungslos nennen. Zudem ist es ethisch bedenklich. Ob man ein faires Asylverfahren bekommt oder nicht, ob man gezwungen wird, jeden Monat von einer Geldsumme zu leben, die andere für ihr Tablet ausgeben – das alles sind existenzielle Fragen. Fragen, die tief in den weiteren Lebensverlauf einschneiden. Verantwortungsvolle Politiker gehen behutsam mit ihnen um, verantwortungslose Politiker verwenden sie für populistische Jongliertricks.

Es ist aber auch taktisch unklug. Eine Regierung, die auf Europa pfeift, treibt jener Partei Wind in die Segel, deren Aufstieg man auch durch solche Maßnahmen eigentlich zu verhindern sucht.

Außenpolitisch ist die aktuelle Notverordnung ohnehin ein hochriskantes Spiel. Die Frage, wie Österreichs Nachbarstaaten wohl auf die Maßnahme reagieren werden, scheint in den aktuellen Überlegungen keine Rolle zu spielen. Was, wenn Slowenien oder Italien sich weigert, im Zuge einer neuen Massenflucht viele Asylsuchende zurückzunehmen? Was, wenn Deutschland auf die Idee kommen sollte, Österreichs Modell zu kopieren – und Österreich mit massenweisen Rückschiebungen aus dem Nachbarland konfrontiert ist?

All diese Szenarien könnte man durchspielen, würde man einen nüchternen Blick auf europäische Realitäten richten. Doch Österreichs Rolle im gemeinsamen Europa gleicht derzeit eher der eines Zaungasts, der zwar auf Brüsseler Gruppenfotos posiert, der im Grunde aber Wien für den Mittelpunkt der Welt hält.

Die Flüchtlinge sind die Ersten, die dadurch Schaden nehmen. Längerfristig trifft es die gesamte Bevölkerung, deren Zusammenhalt durch die Spaltrhetorik geschwächt wird. Und Europa, das von den Nationalismen, auf deren Überwindung es eigentlich abzielte, zunehmend vergiftet wird. Am Ende leiden also alle. Nur diese Koalition, die sich mit den Hauruck-Aktionen über Wasser halten will, wird es nicht spüren – weil sie dann schon längst nicht mehr existiert. (Maria Sterkl, 31.8.2016)