Entweder bist du auf dem Bus oder nicht. Wenn du mitfährst, dann geht es auf eine Reise zu den entferntesten Zielen und in dein Innerstes. Dann bist du auf der Welle, in der Schwingung, im Zentrum, im Pudding, in deinem Film und nicht in dem der anderen!

"You’re either on the bus or off the bus." Den Satz hört Tom Wolfe immer wieder, er wird zu einem Leitmotiv in dem Buch, an dem der Journalist arbeitet. Es ist der Sommer 1966, und Wolfe ist auf Recherche in Kalifornien. Eigentlich wollte er in Mexiko den damals gerade 30jährigen Ken Kesey finden. Der hatte einige Jahre zuvor den Bestseller "Einer flog übers Kukucksnest/One Flew Over the Cuckoo’s Nest" geschrieben und das ebenfalls sehr erfolgreiche "Manchmal ein großes Verlangen/Sometimes a Great Notion". Er wurde inzwischen wegen Drogendelikten verfolgt und setzte sich ins südliche Nachbarland ab.

Seiten aus Ken Keseys Aufzeichnungen im Gefängnis, 1967.

Ein Magazintext über den berühmten flüchtigen Schriftsteller sollte es also werden. Kesey ist allerdings gerade heimlich nach San Francisco zurückgekehrt. Was Wolfe nun beobachtet, was ihm erzählt wird, was er aus Dokumenten, Briefen, Tonbändern und aus mehr als 40 Stunden Filmmaterial erfährt, das weitet sich enorm aus. "The Electric Kool-Aid Acid Test" ist wahrscheinlich die beste, sicher die längste Reportage, die Wolfe in seiner mittlerweile 60 Jahre währenden Karriere geschrieben hat.

Dem Buch, 1968 erschienen, gelingt Vieles auf einmal. Es schildert im Großen die heraufdämmernden kulturellen Veränderungen der Westküste in den Sixties und im Detail die mit LSD ("Acid") angereicherten Veranstaltungen, die Hippies und Hells Angels, Musikfreaks und Avantgardekünstler zusammen- und durcheinanderbrachten. Es verbindet teilnehmende Beobachtungen mit ausufernden inneren Monologen. Es versetzt den Leser in die durch Psychedelika ermöglichten "Reisen" – in einer Sprache, die mit Übertreibungen, freiem Assoziieren, lautmalerischen Strömen und kunstvoll montierten Perspektiven arbeitet.

Tom Wolfe im Rückblick über seine Recherchen zum "Acid Test".
The Daily Beast

Der Acid Test ist ein Paradebeispiel für den New Journalism, den Wolfe und einige seine Kollegen damals etablierten und der bis heute, ein halbes Jahrhundert später, Stil und Anspruch von Reportagen beeinflusst.

Es war also nur folgerichtig, dass der Taschen Verlag nach dem Wiederabdruck von Gay Taleses Frank-Sinatra-Porträt sich auch seiner annahm. Mitte September bringt er eine auf 1.968 Exemplare limitierte Collector’s Edition heraus. Sie ist von Wolfe signiert und um die Dimension erweitert, die der seinerzeitigen Ausgabe fehlte: um viele Illustrationen und vor allem um die Fotos, die Lawrence Schiller (für Life) und Ted Streshinsky (für das Magazin New York, das Wolfe beauftragte) damals von der blühenden, noch legalen Acid-Szene machten.

Die Bilder, die ein halbes Jahrhundert in seinem Archiv ruhten, brachten Schiller auf die Idee, mit Wolfe an der Neuausgabe zu arbeiten. Es lag offenbar an dem vorhandenen Material, dass die Edition sich auf 13 der 27 Kapitel der Originalausgabe beschränkte. So sind zwar alle auch fotografisch dokumentierten Ereignisse enthalten, viele andere jedoch leider nicht.

Es fehlt etwa die so boshafte wie virtuose Schilderung einer Anti-Kriegs-Rallye auf dem Campus der Universität in Berkeley, die von Kesey und seinen Gefolgsleuten unterwandert wird. Auch sein klandestiner Aufenthalt in Mexiko wird nur gestreift. Lassen wir also umso mehr das Gesamtwerk Revue passieren.

Es sind mehrere Erzählungen, die Wolfe zu einem Panorama verschränkt. Da wäre zunächst die Rahmenhandlung, er selbst als Reporter (schon in der zweiten Zeile kommt er vor: "Cool Breeze ... sitzt neben mir") in der Erzähler-Gegenwart, will heißen als der Frühling der Westküsten-Anarchie schon vorbei ist.

Ken Kesey mit Mountain Girl (Carolyn Adams) und der gemeinsamen Tochter Sunshine.
Foto: Ted Streshinsky Photographic Archive, Bancroft Library, U.C. Berkeley

Ab dem vierten Kapitel holt Wolfe weiter aus. Auf dem Hintergrund eines strahlend optimistischen Nachkriegsamerikas zeichnet er den Werdegang eines Jungen aus Oregon voller Tatendrang und schräger Ideen. Dieser Kenneth Elton Kesey nahm als Student an CIA-finanzierten klinischen Experimenten mit psychedelischen Substanzen teil – nicht ganz geheuer, aber hey, immerhin 75 Dollar pro Sitzung!

Die darauf folgenden drei Seiten sind der erstaunliche Versuch, das im eigentlichen Sinn Unbeschreibliche einer solchen Erfahrung zu beschreiben, eine absatzlose Suada von Eindrücken, nicht geheuren Wahrnehmungen, synästhetischen Überflutungen der Sinne. "Und ja, diese kleine Kapsel, die die Speiseröhre runtergerutscht ist, das war LSD."

Wolfe zufolge markierten jene Experimente am freiwilligen Teilnehmer (auf denen auch Keseys "Kuckucksnest" basierte) den Beginn der Hippie-Ära. Sie inspirierten Kesey dazu, eine Art loser Bande von jungen Musikern, Malern, Studenten, Drop-outs und mehr oder weniger prominenten Adabeis zu gründen, die Merry Pranksters.

Die Clowntruppe

Die selbsternannten fröhlichen Witzbolde besorgten sich einen jahrzehntealten Bus, übermalten sein gelbes Äußeres mit wilden bunten Mustern und ersetzten das Schild "School Bus" durch die Zielangabe "Furthur", später "Further". Das Fahrzeug war Metapher. Wer mitfuhr, ging auf viele Reisen, drinnen oder oben auf einer Art Dachterrasse; Lautsprecher auf allen Ebenen, ständig wurde gefilmt und Musik gemacht, Drogen waren immer dabei, und am Steuer saß oft, und am liebsten auf Speed, der Beat-Veteran Neal Cassady, Weggefährte von Jack Kerouac, in dessen On the Road als Dean Moriarty verewigt.

"Entweder du bist im Bus – oder nicht": Mit einem alten Schulbus namens "Further", erstanden 1964 für 1500 US-Dollar, fuhren die Merry Pranksters quer durch ganz Amerika.
Foto: Ted Streshinsky Photographic Archive, Bancroft Library, U.C. Berkeley

Das ist der zweite Teil in Wolfes Saga: die Reise, die die Pranksters quer durch die Staaten unternahmen, ihre Konfrontationen mit den Bürgern, die nicht "auf dem Bus" waren, und mit der Polizei, die der Clown-Truppe in fluoreszierenden Gewändern und Bemalungen ("Day-Glo" ist das häufigste Wort im Buch) nicht gewachsen war: "Frei, mit laufendem Motor, das Adrenalin am Pumpen, auf Kreuzfahrt durch die Neonpracht der Neuen Amerikanischen Nacht – es war der Himmel auf Erden."

In Millbrook im Staat New York trafen Kesey und seine Leute Timothy Leary, den geschassten Harvard-Dozenten und LSD-Propagandisten. Doch der Besuch war eine Enttäuschung. Leary und seine Freunde beschäftigten sich damals mit Forschung, Meditation und geistigem Wachstum und konnten mit den lärmenden, unernsten Kids aus Kalifornien nichts anfangen – und umgekehrt: "Naja, danke jedenfalls, und Sayonara euch allen in eurer Liga für spirituelle Entdeckungen." Tom Wolfe schildert die Nicht-Begegnung als eine Art clash of civilizations, als Beispiel für das Auseinanderklaffen verschiedener Fraktionen, die in Halluzinogenen eine Zukunft sahen, aber eine je sehr andere. (Später im Buch beschreibt er eine ähnliche Situation, als Kesey auf einer LSD-Party mit dem buddhistisch orientierten Dichter Allen Ginsburg, einem zeitweiligen Wegbegleiter der Pranksters, über den Vietnam-Krieg diskutiert. "Sie waren wie zwei Pole auf einem Magneten, um die sich die anderen scharten: Super-West und Super-East.")

Alle Augen ruhen auf Ken Kesey (mit nacktem Oberkörper): Acid Test Graduation, Halloween 1966.
Foto: Ted Streshinsky © 2016 The Estate of Ted Streshinsky

Weiter, immer weiter, keine Ruhepause. Kaum zurück an der Westküste, organisierten Kesey und seine Leute die Drogen-Veranstaltungen, die dem Buch den Titel gaben und seinen dritten Teil ausmachen. "Können Sie den Acid-Test bestehen?" war die provokante Frage auf Flyers und Posters und großen Plakaten am Bus, der durch San Francisco und Umgebung kurvte. Die Antwort konnte man sich auf Veranstaltungen geben, auf denen das Halluzinogen im Überfluss kursierte und tatsächlich in die Getränke geschüttet wurde, als wäre es Brausepulver. Organisiert hatten sie die Pranksters im Stil von Multimedia-Events, die man damals noch kaum kannte, unterstützt durch Bands wie die Grateful Dead, Jefferson Airplane oder Janis Joplin mit Big Brother and the Holding Company, die man damals außerhalb der Szene überhaupt nicht kannte.

Die Trip-Erfahrungen sprachen sich herum, die Medien wurden aufmerksam. Das war Anfang 1966. LSD wurde erst im Oktober verboten. Die Behörden konnten noch nicht einschreiten, umso härter griffen sie bei Marihuana durch, das schon lange illegal war. Unter anderem wurden sie bei Kesey fündig. Dem Prozess und drakonischen Strafen entzog er sich eben durch die Flucht in den Süden. Das Exil dort und die "Reisen" in immer bedrohlicheren tropischen Breitengraden bilden einen weiteren Teil des Buches, ebenfalls vom Autor aus vielen Perspektiven rekonstruiert.

Von einem anderen Planeten

Tom Wolfe (re.) mit Grateful-Dead-Gitarrist Jerry Garcia (mi.) und Manager Rock Scully (li.).
Foto: Ted Streshinsky Photographic Archive, Bancroft Library, U.C. Berkeley

In den abschließenden Kapiteln berichtete Wolfe wieder in der ersten Person. Als Mitdreißiger nur unwesentlich älter als Kesey, kam er doch von einem anderen Planeten. Er trug bereits die eleganten hellen Anzüge, für die er berühmt werden sollte, immer eine zum Stecktuch passende Krawatte – ganz der Südstaatengentleman, der er ja ist, geboren und aufgewachsen in Virginia, dort auch am College, danach Studium der Amerikanistik an der Yale Universität. Ein Foto im Buch zeigt ihn an der Ecke Haight Street und Ashbury Street, damals das Mekka der Hippies, im Gespräch mit Jerry Garcia von den Grateful Dead und dessen Manager: ein Dokument äußerlich extremer Kontraste, die sich aber offenbar gut ergänzten. So höflich und zuvorkommend, wie er einem heute im Gespräch begegnet, soll Wolfe auch damals gewesen sein. Er war so anders, dass es die Freaks schon wieder gut fanden. Sie akzeptierten ihn bei ihren Tests und Festivals, bis er schließlich zur sprichwörtlichen Fliege an der Wand wurde.

So kann er das langsame Abflauen der Prankster-Bewegung hautnah verfolgen. Keseys späte Idee, "jenseits von Acid" etwas Neues zu schaffen oder zumindest den Behörden vorzugaukeln, beobachtet er so schonungslos wie die Szene in Haight/Ashbury, die von immer mehr orientierungslosen Jugendlichen, Drogenabhängigen und Geschäftemachern überschwemmt wird. Die letzte Inszenierung der Truppe, Halloween 1966, sieht er bereits als Grabgesang. "WE BLEW IT!" heißt es am Ende des Buches neun Mal, wir haben’s vermasselt.

Trancehafte Tristesse: die letzte Inszenierung der Truppe, Halloween 1966.
HenryBloggit

Wolfe wertet nicht. Er ist vom Geschehen weder begeistert noch entrüstet. Wie in seinen späteren Arbeiten interessieren ihn soziale Verwerfungen, Status-Spiele, die Ambitionen und Alpträume der Mitspieler. In deren Psyche versetzt er sich. Was er sieht, ergänzt er durch eigene Assoziationen, er nimmt Fäden auf und verfolgt sie in literarische und historische Bereiche.

Um nur ein kleines Beispiel zu nennen: Die Reise auf dem Bus erinnert ihn frappant an Hermann Hesses Novelle "Morgenlandfahrt", er findet Synchronizitäten, wie sie C. G. Jung postuliert hat, "very weird, the Synch!" Zu den spirituellen Aspekten von Trip-Erfahrungen schlägt er bei dem deutsch-amerikanischen Religionswissenschafter Joachim Wach nach und wird fündig: "Alle Religionen begannen mit einer überwältigenden neuen Erfahrung, Wach nannte sie ,die Erfahrung des Heiligen’, (...) dieses Gefühl, ein Gefäß des Göttlichen zu sein (....). Die historischen Visionen wurden auf verschiedene Arten erklärt, als das Ergebnis von Epilepsie, Selbsthypnose, Veränderungen im Metabolismus aufgrund von Fasten, tatsächlichen Interventionen von Göttern – oder Drogen. (Wachs Paradigma) war fast wie eine okkulte Vorausahnung von dem, was ich über die Pranksters wusste."

20 Jahre nach dem Original kam das Buch auf Deutsch heraus: "Unter Strom" – kein schlechter Titel, denn wie hätte man’s sonst nennen sollen, "Der elektrische Brausepulver-Säure-Test"? Leider war die Übersetzung des Restes miserabel, und die Veröffentlichung wurde zu Recht kaum beachtet.

Wer sich also auf das mäandernde, delirierende Narrativ von Tom Wolfe ganz einlassen will, dem sei die Originalausgabe ans Herz gelegt. Wer es lieber etwas kompakter hat, dafür viele teils unveröffentlichte Fotos, Illustrationen, Flyers, Posters und eine Originalunterschrift des Autors dabeihaben will und bereit ist, etwas mehr auszugeben, der ist mit der Taschen-Edition gut bedient. Get on the bus! (Michael Freund, Album, 4.9.2016)