Ein Mitglied der irakischen Sicherheitskräfte nahe der vom IS befreiten Stadt al-Qarayyah.

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Eine dunkle, zähe Masse nimmt ihren Weg durch die Stadt al-Qarraya im nördlichen Irak. Es ist das letzte dunkle Vermächtnis, das die Kämpfer des "Islamischen Staats" dort hinterlassen haben. Ende August wurden die sunnitischen Extremisten aus der Stadt 60 Kilometer südlich ihrer Hochburg Mossul vertrieben. Als Rache haben sie die Straßen mit Öl geflutet.

Die Befreier aus den Reihen der irakischen Streitkräfte haben das nächste Kapitel bereits vor Augen: Mossul – die inoffizielle Hauptstadt des IS im Nordirak, analog zu Raqqa in Syrien. Doch die Uhr tickt. Bis Ende des Jahres wolle man die Zwei-Millionen-Einwohner-Stadt vom IS befreien, kündigte der irakische Regierungschef Haider al-Abadi im August an. Dabei sein bei der Befreiung wollen auch die Kämpfer der Hashd al-Shaabi, der schiitisch dominierten Bewegung der "Volksmobilmachung".

Entstanden ist dieser Dachverband schiititscher Milizen unter dem Eindruck und Schock des unaufhaltbaren Vorstoßes des "Islamischen Staats" auf irakisches Gebiet im Jahr 2014. Bei ihrem Vormarsch verübten die Islamisten zahlreiche Massaker an Schiiten im Irak, die Streitkräfte des Landes waren wie paralysiert und überfordert bei der Abwehr der sunnitischen Extremisten.

Seit der Gründung der "Volksmobilmachung" und dem Aufruf schiitischer Geistlicher im Irak, sich dem Kampf gegen den IS anzuschließen, sind Einheiten der Hashd al-Shaabi gegen den IS bei den für die Schiiten so wichtigen Schreinen in Kerbala, Najaf und Samarra und an der Seite der irakischen Sicherheitskräfte im Großraum Bagdad im Einsatz. Verglichen mit den nicht immer effektiven staatlichen Streitkräften haben sich die Kämpfer der Hashd al-Shaabi im Kampf gegen den IS oft bewährt. Diesen betrachten sie als Glaubenskrieg, als schiitischen Jihad. Angetrieben vom Kampf zweier religiöser Doktrinen haben sie sich als eifrige und opferbereite Gotteskrieger gegen den IS herausgestellt. Ihre genaue Zahl ist nicht bekannt, Schätzungen gehen von mehr als hunderttausend Kämpfern aus.

Konflikt um Geld und Macht

Der Eindruck, dass es sich bei Hashd al-Shaabi um einen einheitlichen Kampfverband handelt, täuscht jedoch. Gemeinsam ist den dutzenden schiitischen Milizen der "Volksmobilmachung" lediglich, dass sie die sunnitischen IS-Extremisten als Feind und Bedrohung der irakischen Schia ansehen. Da hat es sich dann auch schon mit den Gemeinsamkeiten.

Bei den Streitigkeiten geht es um Macht, unterschiedliche ideologische Ausrichtungen, politische Gefälligkeiten und vor allem um den Einfluss des Iran. Darüber hinaus wird um Geld aus staatlichen Töpfen gekämpft, aus denen viele Kämpfer bezahlt werden.

Viele der Kämpfer wollen bei der Schlacht um Mossul dabei sein. Bagdad zögert – nicht zuletzt wegen Drucks aus Washington. An der Befreiung Ramadis durften die schiitischen Milizen beispielsweise nicht teilnehmen – aus Angst, es könnte erneut zu konfessionellen Übergriffen auf die sunnitische Mehrheit vor Ort kommen, wie es vergangenes Jahr bereits in Tikrit der Fall war. Geholfen hat das nichts: Mindestens 66 Sunniten wurden nach der Übernahme Ramadis durch schiitische Milizen ermordet, viele mehr wurden misshandelt.

Fraglich ist auch, ob die mehrheitlich sunnitische Bevölkerung Mossuls überhaupt von schiitischen Milizen befreit werden will. In einer Studie, die Anfang des Jahres von dem irakischen Institut IIACSS telefonisch unter 120 Bewohnern der vom IS besetzten Metropole durchgeführt wurde, erklärten 74 Prozent, dass sie nicht ausschließlich von der schiitisch dominierten Armee befreit werden wollen. Von schiitischen Milizen oder Kurden wollten sogar alle 120 Befragten nicht befreit werden.

Iraks Sunniten sitzen zwischen den Stühlen: Viele lehnen einerseits den "Islamischen Staat" ab. Gleichzeitig fürchten sich aber viele vor den vermeintlichen Befreiern – schiitisch dominierten Einheiten der Sicherheitskräfte und schiitischen Milizen.

Die zeigen sich davon unbeeindruckt: Hadi Amira, Anführer der Badr-Organisation, einer proiranischen Miliz, sagte angesprochen auf den Kampf um Mossul: "Wir werden definitiv daran teilnehmen." (Stefan Binder, 4.9.2016)