"Man kann eine meinungsfreie Zeitung machen, auch wenn man Mitglied der SPÖ oder der ÖVP ist. Das schließt sich nicht aus": Marcel Kohler über die "Heute"-Mehrheitsgesellschafter.

Marcel Kohler (56) ist seit 2013 Mitglied der Unternehmensleitung beim größten Schweizer Verlagskonzern Tamedia, zuständig für die 20-Minuten-Gruppe. Ab 2006 führte er diese Gruppe von Pendlerzeitungen.

Foto: Tamedia

STANDARD: Wie hat denn das alles begonnen? Wie fanden der größte Schweizer Verlagskonzern Tamedia und "Heute" zusammen? Ruft da Eva Dichand an, und fragt: Brauchen Sie noch eine Gratiszeitung, ich würde gerne Anteile loswerden?

Kohler: Da hat niemand angerufen, man kennt sich. Unser Verleger Pietro Supino und Frau Dichand kennen einander. Da tauscht man sich aus. Und wir verfolgen die Entwicklung des Pendlerzeitungsmarktes bereits seit längerem und haben schon vor vier Jahren 36 Länder analysiert, wie attraktiv sie für ein Pendlermedium sind. In diesem Raster waren die Schweiz und Luxemburg die besten Märkte für Pendlerzeitungen – wo wir schon mit "20 Minuten" präsent waren. Österreich war da auch ein attraktiver Markt, aber nicht, um da neu reinzugehen, Sie haben ja schon zwei Player. Vielmehr können wir uns so an einem starken Partner beteiligen und sind der Überzeugung, dass wir Heute und heute.at gemeinsam noch weiter bringen können.

STANDARD: Also beteiligt man sich am Marktführer. Was ist denn "Heute" wert? Wenn man den Jahresumsatz heranzieht, und den kann man auf 45 bis 50 Millionen Euro schätzen, könnte man Ihre Beteiligung (sehr) grob um die 15 Millionen kosten.

Kohler: Tamedia versucht in solchen Fällen, aufgrund der wirtschaftlichen Fakten zu bewerten. Wirtschaftlich sind Heute und heute.at erfolgreich. Das hat sich im Kaufpreis niedergeschlagen. Aber ich bitte um Verständnis, dass die Parteien über die Einzelheiten der Transaktion Stillschweigen vereinbart haben.

STANDARD: Man muss es versuchen. Woher kommt denn die unterschiedliche Beteiligungshöhe der Tamedia: 25,5 Prozent am Zeitungsverlag, 51 Prozent an heute.at?

Kohler: Frau Dichand und Herr Jansky haben "Heute" zur auflagenstärksten Pendlerzeitung in Österreich entwickelt. Ich glaube, wir können auch für die Zeitung noch etwas einbringen. Aber wo wir wirklich Unterstützung bieten können, ist bei heute.at. Wir können Inhalt bringen, für die Zeitung wie online, wir können Technologie bringen, und wir können Knowhow für das digitale Angebot bringen. "20 Minuten" hat das mit Abstand größte Newsportal in der Schweiz und wir verdienen auch Geld damit. Deshalb sieht Tamedia in der digitalen Publizistik Wachstumspotenzial. Aus diesem Grund haben wir uns einvernehmlich mehrheitlich an der neuen Gesellschaft beteiligt.

STANDARD: Eva Dichand sagte, mit Tamedia an Bord soll heute.at in drei Jahren ORF.at überholen. Bei 44 Prozent Reichweite zu 23 erscheint das doch recht ambitioniert. Haben Sie eine Vorstellung, wie das gehen soll?

Kohler: Wo wir mit Frau Dichand absolut einig sind, ist: Wir wollen da große Schritte vorwärts machen, und das nicht erst in zehn Jahren. Es steht mir aus der Schweiz jedoch nicht zu, zu sagen, wir überholen jetzt den ORF. Aber in der Schweiz ist es uns gelungen, mit 20 Minuten die klare Nummer 1 zu werden. Weshalb sollte uns dies nicht auch in Österreich gelingen?

STANDARD:
Wo steht die Zeitung "Heute" in drei Jahren, deren Reichweite und Auflage zuletzt doch ein Stück zurückging? Und wo steht "heute.at" nach drei Jahren Tamedia-Support?

Kohler: Wir sind uns klar darüber: Print ist strukturell unter Druck. Nach unserer Einschätzung ist Österreich davon bisher eher wenig betroffen. Wir gehen davon aus, dass der strukturelle Druck in Print zunehmen wird. Aber "Heute" hat eine hervorragende Position. Und Online… In drei Jahren sollte man den Traffic sicher verdoppeln können. Denn wir sind überzeugt, dass wir das Angebot von heute.at noch attraktiver machen und Marktanteile gewinnen können. In der Schweiz haben wir im vergangenen Jahr eine neue News-App für 20 Minuten lanciert, mit der wir den Traffic maßgeblich steigern konnten. Diese App ist sicherlich auch für heute.at interessant.

STANDARD: Wie sieht denn die Perspektive für die Beteiligungsverhältnisse bei "Heute" und heute.at aus? Haben Sie eine Option auf weitere Anteile?

Kohler: Wenn man sich an etwas beteiligt, dann regelt man auch den Fall, wenn man sich nicht verstehen würde. Und das haben wir in Österreich auch gemacht. Aber die Absicht beider Seiten ist, auf der nun vereinbarten Basis zusammenzuarbeiten. Wir sehen uns klar als Partner. Der Heute Verlag wird zudem weiterhin von Eva Dichand und Wolfgang Jansky geführt.

STANDARD: Das heißt, es gibt keinen Earn-Out-Deal wie etwa bei vielen Verkäufen etwa von inhabergeführten Werbeagenturen, die den Altgesellschafter nach der Unternehmensperformance von drei oder fünf Jahren nach der Übernahme auszahlen? Es könnte ja zum Beispiel sein, dass sich etwa Herausgeberin und Geschäftsführerin Eva Dichand, die ihre Anteile in zwei Schritten von 74 auf 24,4 Prozent reduziert hat, nach so einem Modell auf Sicht ganz ausscheiden möchte.

Kohler: Der Vertrag regelt das Prozedere, wenn man nicht miteinander zusammenarbeiten könnte. Da sind keine Zahlen hinterlegt.

STANDARD: Als Gesellschafter von "Heute" kann man sich vermutlich nur wünschen, dass Eva Dichand ihre Fähigkeiten im Verkauf von Inseraten weiter so engagiert einbringt.

Kohler: Frau Dichand und Herr Jansky haben einen guten Job gemacht und Heute mit viel persönlichem Engagement erfolgreich geleitet. Die sind weiterhin an Bord und wir sind froh, dass wir damit starke Partner vor Ort haben. Unsere Absicht ist, dass das so bleibt. Das sind die Österreicher, sie kennen den Markt, und wir wollen ganz klar weiterhin mit ihnen zusammenarbeiten und Heute und heute.at gemeinsam voranbringen.

STANDARD: Der Vorstandsvorsitzende der Tamedia sagte zuletzt, "Heute" solle die Positionierung von "20 Minuten" bekommen. Wie hat man das zu verstehen?

Kohler: "Heute" ist erfolgreich in Österreich, daraus kann man schließen, dass sie vieles richtig machen. "20 Minuten" in der Schweiz ist so positioniert: Wir informieren und unterhalten mit meinungsfreiem Journalismus und mit einem eigenen Relevanzbegriff aus der Optik der Jungen. Ob das genau das Richtige in Österreich ist, wird sich weisen, die Arbeit beginnt erst. Ich denke, es wird eine Annäherung geben.

STANDARD: Und wie würden Sie als neuer Mitbesitzer die Positionierung von "Heute" beschreiben?

Foto: tamedia/heute


Kohler: Meine Vermutung: Es ist etwas weniger jung als in der Schweiz. Darüber hinaus ist "Heute" weniger national verbreitet als "20 Minuten" in der Schweiz. Und ob das Verhältnis von Information und Unterhaltung das gleiche ist, gilt es auch noch zu analysieren. Aber wir gehen nicht nach Österreich und sagen, wie es sein soll. Die haben viel richtig gemacht. Da gibt es gegenseitige Synergien, Punkte, wo wir auch von "Heute" lernen können.

STANDARD: A propos nationale Verbreitung. "Heute" ist fokussiert auf Wien, dazu Niederösterreich, Burgenland und Oberösterreich. Sie wollen prüfen, ob nicht auch für "Heute" nationale Verbreitung möglich wäre. Nun hat sich "Heute" zum Beispiel bei der frühen Expansion in die Steiermark gleich eine blutige Nase geholt und rasch wieder aufgegeben. Nationale Verbreitung kann verdammt teuer werden – oder haben die Schweizer da wieder einmal etwas erfunden? Auch Sie müssen drucken und Zeitungen an publikumsstarke Stationen bringen – wenn es welche gibt.

Kohler: Nein, einen Trick haben wir dafür nicht. Mir ist schon bewusst, dass das teuer werden kann, und auch, dass da und dort blutige Nasen drohen. Ich möchte das geprüft haben – und gehe davon aus, dass unsere Partner das schon einmal gemacht haben. Mutmaßlich gibt es gute Gründe, warum es ist, wie es ist. Aber: Wir sind in der Schweiz auch nicht in allen Kantonen mit unserer Zeitung vertreten. Zum Beispiel in Graubünden – und dennoch ist unsere Onlinereichweite in diesem Kanton wirklich gut. Wir müssen Mittel und Wege finden, dass heute.at in der Form wahrgenommen wird. Wir sind der Überzeugung, dass wir "Heute" und heute.at weiterbringen können.

STANDARD: Sie haben als nunmehrigen Mehrheitsgesellschafter eine Stiftung, die von Menschen mit SPÖ-Nähe geführt wird. Und "Heute" hat einen relativ hohen Anteil von Inseraten öffentlicher Stellen. Birgt dieser hohe Anteil nicht ein wirtschaftliches Risiko?

Kohler: "20 Minuten" informiert und unterhält mit meinungsfreiem Journalismus. Ich bin überzeugt davon, dass eine solche Zeitung meinungsfrei sein sollte. Es gibt schon genügend Medien, die von der Kanzel herunter Meinungen kundtun. Das heißt aber nicht, dass das nicht Menschen tun können, die eine Meinung haben und politisch irgendwo stehen. Man kann eine meinungsfreie Zeitung machen, auch wenn man Mitglied der SPÖ oder der ÖVP ist. Das schließt sich nicht aus.

STANDARD: Ich meinte hier vor allem das wirtschaftliche Risiko, dass öffentliche Inseratengelder etwa durch Regierungs- oder andere Richtungswechsel gekürzt und/oder verlagert werden.

Kohler: In Österreich gibt es einen sehr hohen Anteil staatlicher Werbung an den Mediaspendings. Wir sind uns dessen bewusst, und man staunt in der Schweiz, dass es das gibt, und freut sich darüber, wenn man da beteiligt ist. Aber ganz ehrlich: Wenn es das nicht mehr gäbe oder nur zur Hälfte, dann geht dieses Geschäft bei "Heute" weiter. Und ich gehe davon aus: Diese staatlichen Stellen wissen, was sie tun, und sie werden einen Grund haben, warum sie so werben. Wir haben uns über dieses Thema nicht nächtelang den Kopf zerbrochen.

STANDARD: Gibt es noch Beteiligungsziele oder Gründungspläne für Österreich?

Kohler: Wir verfolgen die Märkte genau. Das Pendlerzeitungsgeschäft und die digitale Publizistik sind bei Tamedia ein Wachstumsfeld. Aber wir würden uns nicht an einer regionalen Tageszeitung oder an einem Wirtschaftsmagazin beteiligen. In der Publizistik sucht Tamedia vorwiegend Opportunitäten im Bereich Pendlerzeitungen.

STANDARD: Was wurde eigentlich aus "20 Minuten" in Deutschland? Vor einem Jahr haben Sie mit einer Onlineplattform einen Pilotversuch gestartet.

Kohler: Wir haben bei unserem Versuch mit 20minuten.de geübt und gelernt, dass der Austausch von Inhalten funktioniert – und wenn das zwischen Schweiz und Deutschland klappt, warum sollte das nicht auch zwischen Schweiz und Österreich funktionieren? Wir haben auch gelernt: Die Umsätze pro User sind in Deutschland um einigeskleiner als in der Schweiz. Auch in Österreich sind sie kleiner.

STANDARD: Haben Sie sich’s in Deutschland nun anders überlegt?

Kohler: Das Thema Deutschland ist nicht beerdigt, es ist derzeit on hold. Wir sind sehr davon überzeugt, dass Print Online stärkt und Online Print stärkt. Und wenn wir nach Deutschland gehen würden, starten wir ohne eine Printmarke. In dem Sinn versprechen die Rahmenbedingungen für Österreich viel mehr Erfolg, weil es hier bereits ein starkes Printprodukt gibt und eine starke Newssite, die Entwicklungspotenzial hat. (Harald Fidler, 3.9.2016)