Einige der bedeutendsten oder potenziell bedeutendsten weltpolitischen Ereignisse der letzten Jahre beruhen auf dem Erfolg von blanken, frechen, bewussten Lügen.

Wladimir Putin behauptet nach wie vor, dass hinter dem Angriff auf die Ostukraine keine russischen Truppen und keine russische Kriegshilfe stehen. Die Behauptung, die "grünen Männchen" in Uniformen ohne Rangabzeichen, die die Krim besetzten, seien keine russischen Militärs, hat er inzwischen aufgegeben.

Der Beschluss einer relativ knappen Bevölkerungsmehrheit in Großbritannien, die EU zu verlassen, beruht auf glatten Lügen, z. B. über britische Zahlungen, die von Scharlatanen wie Boris Johnson, Nigel Farage und anderen pausenlos verbreitet wurden.

Wenn, was immer noch nicht ganz ausgeschlossen ist, Donald Trump Präsident der USA wird, dann wird er das aufgrund der Tatsache sein, dass er praktisch pausenlos lügt, und zwar über alles, von seinem persönlichen Reichtum bis zu irgendwelchen außen-, wirtschafts-, kulturpolitischen Situationen.

Intelligente Egomanen wie Boris Johnson wissen, dass es Unsinn ist, was sie von sich geben. Wladimir Putin, das Produkt des sowjetischen Geheimdienstes, eines Systems, das am Schluss unter der Last der eigenen Lügen zusammengebrochen ist, weiß es halb, die andere Hälfte ist der russische Opferkomplex. Trump braucht die ständige Lüge, um psychisch überhaupt überleben zu können.

Das Problem dabei ist, dass sehr beträchtliche Wählermassen, oft sogar die Mehrheit, diesen Lügen begeistert folgen, obwohl sie oft genug wissen, dass es sich um Lüge handelt.

Sie versinken im Selbstbetrug, weil sie die unangenehme Realität durch Fantasien zu bewältigen suchen. Die Wähler von Trump, Le Pen, Wilders, Strache, der AfD und anderer Rechtspopulisten wissen tief drinnen, dass die Gründe für die eigenen, nur gefühlten oder tatsächlich berechtigten Abstiegsängste nicht allein mit den "Ausländern" zu begründen sind. Aber es ist die einzige Erklärung für ihre Lage, die sie vor sich selbst akzeptieren können.

Eine Unterfunktion dieser Realitätsverweigerung ist der Hass auf die "Mainstream-Medien" oder die "Lügenpresse". Die muss ja von undurchsichtigen Kräften gesteuert sein, wenn sie nicht das eigene, erregte Weltbild stützt.

Fakten waren gestern, Faktoide, Verschwörungstheorien und selektive Wahrnehmung sind heute. Eine massive Rolle spielen dabei die Social Media mit ihren technologischen Charakteristiken.

Die Leute leiten ungeprüft die bizarrsten "Fakten" weiter, selbst wenn es falsch, irreführend, unvollständig oder manipulativ ist, weil sie denken, es muss etwas dran sein. Die absurdesten Verschwörungswebsites werden irgendwie doch ernst genommen. Ganz abgesehen von professionell gemachten Propaganda- und Trolling-Instrumenten.

Falsches und Fakten werden auf demselben technischen Weg verbreitet, in der sogenannten "Informationskaskade". Je größer der – meist bösartige – Blödsinn, desto bereitwilliger wird er von manchen geglaubt. Auf die traditionellen Medien kommt es nun an: Einerseits müssen sie den Unsinn hart und klar als das aufdecken, was er ist; andererseits müssen sie zu einer Generation, die dem vertraut, was sie "irgendwo im Internet gelesen hat", den adäquaten technologischen Zugang finden. (Hans Rauscher, 2.9.2016)