STANDARD: Sie sind vor dreieinhalb Jahren als Chef der Raiffeisen Bank International zurückgetreten, heute beraten Sie sie. Was geht Ihnen ab vom Geschäft?

Stepic: Ich bin ja noch aktiv. Wenn ich mir aber das heutige Umfeld ansehe, an Stichworte wie Regulatorien, EZB, Eigenkapitalvorschriften und Basel IV denke, bin ich froh, dass ich nicht mehr hauptverantwortlich tätig bin.

STANDARD: Viele Banker fühlen sich eingeschnürt, sagen, mit Banking habe ihr Job nichts mehr zu tun.

Stepic: So ist es. Mit der Insolvenz von Lehman Brothers 2008 ist eine Ära des Bankgeschäfts zu Ende gegangen. Bis da herrschte Überliberalisierung, seither schlägt das Pendel zur Überregulierung aus. Die Banken stecken in einem Korsett mit Schuhbändern. Das muss sich wieder einpendeln. Heute kann ein Generaldirektor nicht einmal mehr einen Geschäftsfall allein entscheiden. Trotzdem spürt man immer noch keinen vehementen Widerstand des Marktes. Viele Industrielle wissen zwar, wo der Hase im Pfeffer liegt, aber die Rufer sind noch zu schwach. Die Banker hätten viel früher schreien müssen.

STANDARD: Man hört gar keine Proteste von Bankern.

Stepic: Weil die Banker in Schockstarre sind. Sie gehen nicht aus der Deckung, weil sie in der Öffentlichkeit sowieso schon als die Pfui-Deixln (Pfui-Teufel; Anm.) dastehen. Das darf nicht so bleiben, denn wir brauchen mehr Wachstum und müssen wieder wettbewerbsfähig werden. Dabei spielen Banken und Geldpolitik eine wesentliche Rolle. Und da gibt es langsam Bewegung: Deutsche Spitzenmanager kritisieren die Niedrigzinspolitik der EZB gerade heftig. Ich hoffe, dass es im Schulterschluss mit der Industrie, die seit Jahren nicht mehr investiert, gelingen wird, normalisierte Zustände zu erreichen. An den Regulatoren gibt es dagegen noch immer kaum Kritik, das ist mir unverständlich. Offensichtlich haben die Bankmanager immer noch Angst, bei denen anzuecken, denen sie ausgeliefert sind.

STANDARD: Sind Banker feig?

Stepic: Lassen Sie mich so sagen: Sie sind stark vom Risikokalkül geprägt.

STANDARD: Sie kritisieren die Nullzinspolitik der EZB, die Wachstum verhindere und hauptsächlich den hochverschuldeten Ländern helfe.

Stepic: Ja. Diese Politik führt zu enormen Verwerfungen. Man muss sich das vorstellen: Italien kann sich heute billiger verschulden als die USA. Das ist einfach ein Wahnsinn. Das Kernproblem ist, dass geldpolitische Maßnahmen getroffen werden, aber fiskalische Schritte und Strukturreformen fehlen. Volkswirtschaft ausschließlich durch Geldpolitik gestalten? Das kann nicht gehen. Die Politik muss sparen, reformieren, Steuern senken.

STANDARD: Noch zur Bankenlandschaft. Europa ist overbanked, derzeit sind gerade Fusionen en vogue; nicht nur im Raiffeisen-Sektor. Die EZB warnt aber: Fusionen seien kein Allheilmittel. Wie sehen Sie die Zukunft der Banken?

Stepic: Wir stehen vor einer wesentlichen Strukturveränderung des europäischen Bankensystems. Es wird massive Bank- und Filialschließungen geben, und es braucht starke Investitionen in IT und Digitalisierung. Österreichs Institute haben zwar ihren Standortvorteil für Osteuropa genützt, sind aber vor allem bei der Digitalisierung Trendfolger und nicht Trendsetter. Die Banken werden von rechts und links getögelt (geschlagen; Anm.): Man nimmt ihnen per Zinspolitik ihr Geschäftsmodell und steckt sie in enge Eigenkapitalkorsetts. Jetzt ist es Zeit, etwas zu tun. Banken müssen ums Geschäft mit Zahlungsverkehr, Karten, ums Private Banking kämpfen. Da stehen sie in Konkurrenz zu den Fintechs, die allerdings unreguliert sind.

STANDARD: Sie sind überzeugter Europäer. Gefährdet der Brexit das Projekt EU?

Stepic: Nein. Doch es droht Ansteckungsgefahr, besonders in Zeiten der Populisten und Opportunisten. Und die EU hat – vor allem für Nichtbeitrittsländer – stark an Glanz und Glorie verloren. Es gibt zwar keine Alternative zur EU – aber sie muss sich verändern. Die Währungsunion muss enger und strenger werden, und die EU braucht eine Verwaltungsreform.

STANDARD: Und wie sehen Sie die Flüchtlingspolitik der EU?

Stepic: Da gibt es zwei Ansatzpunkte: Was können wir uns leisten, und was können wir den Leuten zumuten. Leisten können wir uns viel mehr, als wir bisher ausgegeben haben. Es wäre aber viel effizienter, die Entwicklungshilfe auszubauen, denn zehn Euro in Österreich entsprechen 100 Euro in, zum Beispiel, Eritrea. Wesentlicher aber sind eine kluge Integrationspolitik und die Art, wie die Politik das der Bevölkerung erklärt – in Zeiten, in denen mit der Flüchtlingsfrage politisches Kleingeld geschlagen wird. Ich habe Hochachtung für Angela Merkel. Sie hat einen Standpunkt, sie weiß, dass er ihr zunehmend politisch schadet – aber sie bleibt bei dem, was sie glaubt. Das ist das Entscheidende. Wir schaffen das. (Renate Graber, 3.9.2016)