Berlin – Die Flüchtlingswelle des vergangenen Jahres ist nach den Worten der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht zulasten von Einheimischen gegangen. "Die große Aufgabe der Politik, das Lebensniveau der Menschen in Deutschland zu halten und zu verbessern, erfüllen wir heute genauso gut wie vorher", sagte die CDU-Vorsitzende der "Bild"-Zeitung. Sie würde in der Flüchtlingskrise aus heutiger Sicht genau so handeln wie vor einem Jahr.
An jenem September-Wochenende sei es nicht darum gegangen, "die Grenze für alle zu öffnen, sondern sie für diejenigen nicht zu schließen, die sich in großer humanitärer Not aus Ungarn zu Fuß auf den Weg zu uns gemacht hatten", erklärte die deutsche Kanzlerin.
Die Standards für Flüchtlinge richteten sich an den Vorgaben des deutschen Verfassungsgerichts aus. Wegen der Einwanderer sei aber niemandem in Deutschland die Leistung gekürzt worden. "Für Neiddebatten gibt es also keinen Anlass." Klar sei aber auch, dass sich ein Jahr wie das vergangene nicht wiederholen könne.
Integration entscheidend
Entscheidend sei nun, die Menschen in Deutschland zu integrieren, sagte Merkel weiter. Diese müssten sich auch selbst um Arbeit und Integration bemühen. "Wenn uns die Integration der Flüchtlinge gelingt, nützt das beiden Seiten."
Merkel verteidigte erneut das EU-Abkommen mit der Türkei, das im Kern den Stopp der Flüchtlingsbewegung über die Türkei gegen Zahlungen der Europäer für die Unterbringung in dem Land vorsieht. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat allerdings mit dem Aus für die Vereinbarung gedroht, wenn die mitvereinbarte Visa-Freiheit für Türken nicht bis Oktober von der EU umgesetzt werde.Merkel sagte aber, dafür seien noch nicht alle Bedingungen von der Türkei erfüllt worden.
Vierte Amtszeit noch offen
Merkels Popularität hat im Zuge der Flüchtlingskrise gelitten. Am Sonntag wird in Mecklenburg-Vorpommern gewählt, wo Merkel ihren Wahlkreis hat. Die Landtagswahl ein Jahr vor der Bundestagswahl gilt auch als Stimmungstest für die deutsche Bundeskanzlerin.
Die deutsche CSU will erst im kommenden Jahr entscheiden, ob sie Merkel als Kanzlerkandidatin unterstützt. Merkel schweigt bisher zu einer erneuten Kanzlerkandidatur. Sie sagte zuletzt aber, dass die Ämter an der Spitze der CDU und des Kanzleramts auch künftig in Personalunion ausgeübt werden sollten. Damit könnte auf dem CDU-Bundesparteitag Anfang Dezember in Essen Klarheit herrschen.
Deutsche Ökonomen: Wirtschaft profitiert langfristig
Die Zuwanderung von Flüchtlingen ist trotz der schleppenden Integration in den Arbeitsmarkt nach Einschätzung von Ökonomen langfristig ein Gewinn für das alternde Deutschland.
Durch ihre erfolgreiche Eingliederung könne "ein erheblicher Teil des demografisch bedingten Rückgangs des Trendwachstums in den nächsten zehn bis 15 Jahren vermieden werden", bekräftigte der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, David Folkerts-Landau, auf Nachfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in Frankfurt. Nach seiner Einschätzung werden sich die Ausgaben von schätzungsweise gut 20 Milliarden Euro, die in den nächsten Jahren anfallen werden, "langfristig auszahlen".
Folkerts-Landau hatte im Dezember gesagt: "Die Flüchtlinge sind das Beste, was Deutschland passieren konnte." Die Zuwanderung von Menschen etwa aus Syrien, Afghanistan oder dem Irak sei "nach der Wiedervereinigung das Zweitbeste, was Deutschland passieren konnte, um seine Perspektiven zu verbessern und zukunftsfähig zu bleiben".
Doch die Integration dieser Menschen in den deutschen Arbeitsmarkt verläuft schleppender als erhofft, wie die jüngste Bilanz der Bundesagentur für Arbeit (BA) zeigt. Es werde "viel Geld kosten und lange dauern", sagte BA-Chef Frank-Jürgen Weise in der vergangenen Woche am Jahrestag von Bundeskanzlerin Angela Merkels "Wir schaffen das". Oft fehlt es an Sprachkenntnissen oder ausreichender Ausbildung. (APA/Reuters, 3.9.2016)