Je nach Lageentwicklung könnten an der Grenze an die 2200 Soldaten eingesetzt werden.

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Innenminister Wolfgang Sobotka überlegt, Ungarn zu klagen.

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Wien – Bis Dienstagabend feilten die Koalitionäre an ihrem Entwurf für die heikle Asyl-Notverordnung, die international schon jetzt als umstritten gilt. Bis zuletzt zerbrachen sich SPÖ und ÖVP deswegen die Köpfe über Formulierungen, damit die Maßnahmen der Republik legistisch vor dem Europäischen Gerichtshof halten.

Kanzler Christian Kern (SPÖ) gab bei seinem ersten Soloauftritt vor dem Ministerrat offen zu, dass es sich bei dem Ganzen "um eine Gratwanderung" handle – und dass er selbst hoffe, dass die Verordnung dieses Jahr erst gar nicht in Kraft treten müsse. Denn die Zahlen der Einreisen über Ungarn etwa hätten sich "deutlich reduziert".

Unklar ist noch, wann genau die Verordnung in Kraft treten soll. Kern geht davon aus, dass das erst der Fall sein wird, wenn die Obergrenze von 37.500 zugelassenen Asylanträgen erreicht ist. Passiert das nicht, "gibt es keinen Grund für die Notverordnung".

Zwischen Hoffen und Planen

Für Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) hingegen war der Zeitpunkt "noch eine offene Frage". Eine Verordnung in die Begutachtung zu geben, wenn man das "nur als theoretische Übung sehe", mache keinen Sinn.

Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) widersprach dem Kanzler explizit. Er will die Verordnung aktivieren, bevor die Grenze von 37.500 erreicht ist. "Da liegt beim Kanzler ein Irrtum vor", hieß es in Sobotkas Büro auf STANDARD-Anfrage. Auf einen Wert will er sich nicht festlegen. SPÖ-Regierungkoordinator Thomas Drozda sagte Dienstag in der ORF-ZiB2, der Notverordnungs-Beschlussfassung werde man nähertreten, sobald heuer "37.500 Asylanträge in Reichweite" sein sollten.

Mit dieser Formulierung konnte schließlich auch Sobotka leben, wie er im Ö1-Morgenjournal erklärte. Man brauche die Verordnung, wenn man "zeitnahe" sehe, dass die Obergrenze überschritten werde. Zusatz: Man brauche sie aber nur dann, wenn es zu einem "größeren Zustrom an Flüchtlingen" komme. Sobotka drohte zudem an Ungarn zu klagen, sollte das Land weiterhin keine Dublin-Fälle zurücknehmen. Wenn Staaten oder eine Staatengemeinschaft "permanent das Recht bricht", müssen diese "auch rechtlich mit Konsequenzen rechnen", sagte Sobotka. "Dann muss auch die Republik (...) dementsprechend das einklagen."

Ungarn lehnt eine Rückübernahme jedoch weiterhin ab. "Wir werden nur die zurücknehmen, die auf ungarischem Boden erstmals die EU betreten haben", betonte der ungarische Außenminister Peter Szijjarto am Mittwoch in einer Aussendung.

Heer baut vor

Konkretere Pläne gibt es bereits im Verteidigungsministerium von Hans Peter Doskozil (SPÖ). Analog zum Ministerratsbeschluss für den Assistenzeinsatz des Bundesheeres auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Vorjahr rechnet man dort "als erwartbare Konsequenz" damit, dass im Notfall "je nach Lageentwicklung" an die 2200 Soldaten an den heimischen Grenzen "erforderlich" sein "könnten".

Zum Vergleich: Aktuell sind dort 858 Militärs im Einsatz, zum Höhepunkt der Flüchtlingsbewegung 2015 waren es mehr als 1600. Das detaillierte Einsatzkonzept für den Zeitpunkt, zu dem Österreich die Gefahr für die öffentliche Sicherheit und innere Ordnung ausruft und keine beziehungsweise kaum mehr Asylanträge mehr entgegennehmen will, ist freilich mit dem Innenministerium abzustimmen.

Sicherungsaufgaben

Im Verteidigungsressort geht man aber davon aus, dass im Zuge der Notverordnung nicht nur die grüne Grenze zu Ungarn und Slowenien, sondern auch die zu Italien verstärkt überwacht werden muss, anspruchsvollere Sicherungsaufgaben an den regulären Kontrollpunkten im Süden inklusive, um tumultartige Szenen wie einst in Spielfeld zu vermeiden. Womöglich ebenfalls nötig: dass das Heer "Pionierleistungen" bei der Grenzkontrollin fra struk tur leis ten muss. Das heißt aus dem Militärjargon übersetzt: Auch für bauliche Arbeiten, wenn rasch neue Barrieren errichtet werden müssen, hält man sich zur Verfügung.

Auf Vorschlag von Doskozil ist die Regierung zudem interessiert daran, dass bei erneutem Andrang im Osten Österreich und Ungarn auf magyarischem Hoheitsgebiet ein gemeinsames Grenzmanagement betreiben. Die Überlegung dahinter: Da Budapest keine Asylwerber zurücknimmt, könnte damit eine gesichtswahrende Lösung für Orbán und Co gefunden werden.

Außerdem hat der Ministerrat die Verlängerung zweier Auslandseinsätze bis Ende 2017 beschlossen. Bei beiden wird die Beteiligung erweitert, in unterschiedlichem Ausmaß. Während in Afghanistan Trainer in der Gebirgsausbildung zum Einsatz kommen, wird im Mittelmeer sogar das Jagdkommando tätig. Die Spezialkräfte sollen verdächtige Schiffe entern und kontrollieren. Der Einsatz erfolgt von Hubschraubern und Booten aus. (Lisa Kogelnik, Nina Weißensteiner, Günther Oswald, 6.9.2016)