Notverordnung: Die Regierung hat sich auf einen Text geeinigt, nun startet die Begutachtung. Der politische Streit zwischen SPÖ und ÖVP um den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung setzt sich fort. (Foto: Archivbild eines gemeinsamen Pressefoyers).

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Wien – Nach längeren Verhandlungen einigte sich die Regierung Dienstagabend auf den Entwurf für eine Asyl-Notverordnung, die am Mittwoch in Begutachtung geht. Er liegt dem STANDARD vor. Tritt die Verordnung in Kraft, werden Asylanträge an Österreichs Grenzen nur mehr in Ausnahmefällen möglich sein.

Voraussetzung dafür ist eine Gefahr für die "Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes der inneren Sicherheit" in vielen öffentlichen Bereichen wegen zu vieler Asylanträge. Das Bestehen dieser Gefahr müsste vor EU-Institutionen durchargumentiert werden. Entsprechend hören sich die Schilderungen an, was geschehen werde, sollten erneut so viele Asylwerber wie 2015 kommen.

Bei den Asylbehörden könnten dann "die personellen Ressourcen zum Erliegen kommen" (sic!) heißt es in dem Entwurf etwa. Noch dramatischere Formulierungen aus früheren Entwürfen (etwa, dass dann im Asylwesen der "totale Zusammenbruch" drohe) wurden gestrichen, dem Vernehmen nach auf Druck der SPÖ.

Im Unterschied zu früheren Entwürfen ist in dem Text auch die vereinbarte Obergrenze von heuer 37.500 Asylanträgen enthalten. Der Konflikt um die Frage, ob das Erreichen dieses Richtwerts erst abgewartet werden soll, um die Verordnung in Kraft zu setzen oder nicht, ging am Dienstag aber weiter.

Argumentiert wird im jetzt vorliegenden Text auf den unterschiedlichsten Ebenen, etwa in Sachen Kriminalität. So heißt es in den Erläuterungen zu der Verordnung: "Der überdurchschnittlich hohe Zuzug von Schutzsuchenden stellt eine enorme Herausforderung für die allgemeine Sicherheitslage dar."

Dargelegt werden diverse Statistiken, etwa dass die von Asylwerbern begangenen Straftaten im Vorjahr deutlich gestiegen seien, darunter "nicht nur" Diebstähle, Suchtgiftdelikte etc., "sondern auch Vergewaltigungen und ein Mord". Angemerkt wird ferner eine zunehmende Radikalisierung unter den Gefängnisinsassen sowie dass aus Kapazitätsgründen "ein an den Zielen der Resozialisierung orientierter Strafvollzug kaum mehr möglich ist".

Hohe Fallzahlen an Asylwerber wird beklagt

Beklagt wird in den Erläuterungen zudem, dass die hohen Fallzahlen an Asylwerbern die Behörden vor große Probleme stellten: "Die hohe Qualität des Asylverfahrens kann bei einer gleichbleibend hohen Zahl an Schutzsuchenden nicht mehr sichergestellt werden, da insbesondere die personellen Ressourcen zum Erliegen kommen werden." Die Zahl der offenen Verfahren habe sich ausgehend von 31.338 zu Beginn des Jahres 2015 im Laufe dieses Jahres mehr als verdoppelt.

Überdies werde mit einem neuerlichen starken Zustrom an Schutzsuchenden die Versorgung und Unterbringung nicht mehr sichergestellt werden können. Ohnehin müsste man in solchen Fällen auf Großquartiere ausweichen, und diese hätten sich häufig als Orte mit einem hohen Potenzial an ethnisch-kulturellen bzw. sozialen Konflikten und Anspannungen erwiesen.

Ein wesentlicher Punkt in der Argumentation ist der Arbeitsmarkt. Denn Österreich sei durch die Öffnung für die neuen EU-Länder ohnehin schon belastet. Eine starke Zunahme an Schutzberechtigten bedeute nun eine Verfestigung der Arbeitslosigkeit in einem schwierigen Arbeitsmarktsegment.

Als weiteres Problemfeld wird der Gesundheitssektor angeführt. Ein Zustrom wie im Vorjahr berge das Risiko, dass es zu Versorgungsengpässen komme, wird gewarnt. Weiters wird betont, dass durch den Mehrbedarf an Psychologen und Psychotherapeuten mit langen Wartezeiten auf Therapieplätze zu rechnen sei: "Eine zeitliche verzögerte Behandlung mündet häufig in chronischen psychischen und somatischen Erkrankungen", wird gewarnt.

Schließlich wird noch darauf verwiesen, dass der Schulbereich mit einer fünfmal so hohen Zahl neu hinzukommender schutzsuchender Kinder und Jugendlicher konfrontiert gewesen sei. Auch Wohnungsengpässe werden erwartet, die nicht kurzfristig behebbar wären.

Nicht fehlen darf zu guter Letzt die "außerordentlich hohe Belastung" des Staatshaushalts. Prognostiziert werden für heuer Kosten im Asylbereich von zwei Milliarden.

Gefahr einer neuerlichen Massenbewegung

Dass die Gefahr einer neuerlichen Massenbewegung nach Österreich besteht, davon ist die Regierung überzeugt. Internationale Berichte bestätigten den anhaltend hohen Migrationsdruck auf Europa. In Libyen warteten bis zu eine Million Menschen auf eine Überfahrt nach Europa. Fast fünf Millionen Syrer seien in Nachbarstaaten geflüchtet, und in Afghanistan gebe es ein Potenzial von bis zu 1,5 Millionen Menschen, die eine Migration nach Europa ins Auge fassten.

Die ausführliche Begründung der Maßnahme hängt damit zusammen, dass Österreich europarechtliche Probleme drohen könnten, wenn die Verordnung in Kraft gesetzt wird. Freilich soll dies laut Regierungsspitze ohnehin erst der Fall sein, wenn heuer 37.500 Asyl-Anträge gezählt sind. Derzeit ist man davon noch ein Stück entfernt.

Grundsätzlich sieht das Prozedere vor, dass der Regierung in Absprache mit dem Hauptausschuss die Möglichkeit eingeräumt wird, bei größeren Flüchtlingsströmen per Verordnung "Sonderbestimmungen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes der inneren Sicherheit während der Durchführung von Grenzkontrollen" einzuleiten.

Dies hätte zur Folge, dass an der Grenze keine Anträge (außer im Fall von Verwandten in Österreich oder der Gefahr von Folter etc. durch Kettenabschiebungen) mehr gestellt werden können, sondern die Flüchtlinge ins jeweilige "sichere" Nachbarland zurückgeschoben werden sollen. Jene Asylsuchenden, die es bis ins Landesinnere schaffen, können hingegen weiter Asyl beantragen, wenn ihr Weg nach Österreich nicht nachvollzogen werden kann. Befristet ist diese "Notverordnung" zunächst auf sechs Monate, kann aber dreimal jeweils um ein halbes Jahr verlängert werden.

Begutachtung startet ab Mittwoch

Änderungen sind freilich noch möglich – und zwar nach der Begutachtung, die auf vier Wochen angelegt wird. Gestartet wird sie am Mittwoch um 7 Uhr. (APA, bri, red, 6.9.2016)