Ist Schreibschrift auf der Schultafel – hier in Frankreich – bald ausgestorben? In Finnland steht jedenfalls nur noch Druckschrift im Lehrplan.

Foto: apa/ AFP / CHARLY TRIBALLEAU

Es war eine aufregende Angelegenheit, das Erlernen der Handschrift. Die Bekanntschaft mit 26 Buchstaben zu machen, die wie eine neue Welt daherkamen. Mühsam wie eine Leiter musste man sie als halbe Portion emporsteigen. Buchstaben für Buchstaben. Die Leiter bedeutete den Einstieg in eine neue Welt. In die Welt der Erwachsenen.

Das "i" erschien ein Kinderspiel, das "qu" war eine echte Herausforderung, das "a" mit seiner Schlaufe ließ einen den Füller und die ganze Angelegenheit namens Volksschule verfluchen. Wie war das noch einmal mit dem "t"? War das nicht ein Strich, um den sich eine kleine Schlange wand? Egal, irgendwann war sie da, die eigene Handschrift. Gekommen, um zu bleiben. Einzigartig und unverwechselbar wie ein Fingerabdruck.

Dann tauchte irgendwann die Schreibmaschine auf, die der Handschrift am Zeug flickte, mechanisch und elektrisch. Es kam aber noch dicker: Tablets, Notebooks und vor allem Smartphones, in welche vor allem die Jugend ihre Nachrichten in einem Tempo hineinklopft, das ältere Semester ob derlei Fingerakrobatik staunen lässt.

Keine Schreibschrift mehr im finnischen Lehrplan

In den Medien fragt man sich diesbezüglich seit geraumer Zeit, wie es um die Kultur des Schreibens mit der Hand steht. "Ist die Technik des Schreibens mit der Hand überholt?", "Wenn Erwachsene wie Viertklässler schreiben", lauten die Schlagzeilen, auch im Zusammenhang mit der Meldung der angeblichen Abschaffung der Handschrift beim Pisa-Sieger Finnland, die für einiges Aufsehen sorgte.

Auf der Website der finnischen Botschaft ist eine Richtigstellung zu lesen: "Die Veränderung im Lehrplan, die 2016 in Kraft tritt, bedeutet nicht, dass die Schulen die Handschrift abschaffen würden. Das Schreiben mit Stift in Druckschrift wird weiterhin unterrichtet, auch wenn die gebundene Schreibschrift nicht mehr im Lehrplan enthalten ist."

Schlimm genug, finden Bildungsforscher, die gerade in der flüssigen, zusammenhängenden Schreibschrift Vorteile sehen. Wenigstens ist es beruhigend, dass sich finnische Buben und Mädchen auch weiterhin handgeschriebene Zettelchen zustecken können.

Gern zitiert wird im Zusammenhang um die Angst in Sachen Handschrift auch Wassilios Fthenakis, der Präsident von Europas größter Bildungsmesse "Didacta": "Wir müssen dem Terrorismus von E-Mails und Whatsapp etwas entgegensetzen." Ist vielleicht etwas dick aufgetragen, aber dennoch, Fachleute sind sich einig: Nicht nur eine Studie weiß vom Zusammenhang zwischen der Handschrift und der geistigen Entwicklung von Kindern.

Mit der Hand zu schreiben erfordert im Gegensatz zum Hämmern auf die Tastatur den richtigen Druck, eine eigene Technik sowie die Koordination von Auge und Hand. Das fördert die kognitive Entwicklung und die Feinmotorik. Und noch etwas: Es gibt durchaus einen Zusammenhang zwischen der Fähigkeit, flüssig zu schreiben, und dem Können, sich Texte und deren Sinn einzuprägen.

Postkarte versus SMS

Ganz zu schweigen davon, dass die Handschrift gerade in diesen Zeiten mehr und mehr zum Ausdruck von Individualität wird, zur elegant geschwungenen Geste gegen den digitalen Morast. Hand aufs Herz: Worüber freut man sich mehr? Über eine Postkarte aus Portofino oder eine SMS von ebendort? Also.

Bei der Handschrift handelt es sich um etwas Sinnliches. Um etwas Haptisches, denn beim Schreiben mit der Hand entsteht eine Verbindung zwischen Gedanken, Fingern und Papier. Schreiben kann mit dem bevorzugten Bleistift eine ebenso angenehme Tätigkeit sein wie mit einem Meisterstück von Mont Blanc oder diversen Tintenrollern. Man kann den Stift drehen und wenden, wie man will. Er hat im Gegensatz zum Smartphone etwas Beruhigendes.

Es ist kein sensationeller Gedanke, sich zu vergegenwärtigen, dass man sich einst hinsetzte, den Federkiel in das Tintenfässchen tunkte, seine Gedanken aufs Papier fließen ließ, das Kuvert ableckte, es auf die Post trug, während man heute E-Mails hin und her fetzt, als wären es virtuelle Tennisbälle ohne Persönlichkeit. Dennoch ist es ein Gedanke, den es lohnt, hin und wieder hervorzukramen.Und noch etwas, was nicht nur Grafologen wissen: In der Handschrift drückt sich unsere Persönlichkeit aus.

Handschrift kaufen

Neben der Sehnsucht nach Analogem, nach Haptik und eigenem Ausdruck hat die Handschrift aber noch mehr zu bieten: Der ehemalige Mont-Blanc-Boss Lutz Bethge sagte in einem RONDO-Interview: "Während der Wirtschaftskrise habe ich die Erfahrung gemacht, dass mir mehr Menschen mit der Hand geschrieben haben. Die Wirtschaftskrise ist im Prinzip eine Vertrauenskrise. Ich denke, dass man dadurch unbewusst dieses Vertrauen wieder stärken wollte."

Dabei treibt dieser Wunsch nach Individualität so manche Blüten, denn auch kaufen lässt sich mittlerweile eine schöne Handschrift. Barbara Snizek und ihre "Handschreiberei, Werkstatt für Handschriftliches" im niederösterreichischen Riederberg (www.handschreiberei.com) wandelt alles Mögliche an Textvorlagen in Handschriften um – von der Weihnachtskarte bis zum Liebesbrief. Und mit diesem Angebot ist sie längst nicht mehr allein. Ob das moralisch bzw. romantisch vertretbar ist? Nun, die Interpretationshoheit liegt im Auge des Absenders.

Apropos Auftraggeber: Dass es um die Handschrift nicht allzu schlecht stehen kann, zeigen vor allem die Umsatzzahlen der Produzenten. In Deutschland zum Beispiel meldet die Gesellschaft für Konsumforschung, dass der Markt für Papier, Bürobedarf und Schreibartikel 2015 im zweiten Jahr in Folge gewachsen ist, bei der Nachfrage in Sachen Füller seien es die hochwertigen Modelle, die immer mehr gekauft würden.

"Vor allem bei jüngeren Leuten ist ein Trend zu verspüren, mehr mit der Hand zu schreiben", sagt der Design- und Kunsthistoriker Klaus Klemp. "Wenn eine Generation mit dem Computer groß geworden ist, wird die Handschrift vermehrt zu etwas Besonderem. Außerdem empfinden nicht wenige die wachsende Digitalisierung des Alltags als etwas Unangenehmes. Mit der Hand zu schreiben ist ein physischer und psychischer Akt", sagt er. (Detail am Rande: Klaus Klemp ist Kurator der Ausstellung "Thinking Tools. Design als Prozess: Wie Schreibgeräte entstehen", die am 21. September im Frankfurter Museum Angewandte Kunst eröffnet wird.)

Wer nach so viel gedruckten Buchstaben Gusto auf den Griff nach dem Füller hat, dem sei noch eine Empfehlung in Sachen Tintenfarbe gegeben, und zwar vom bereits erwähnten Füller-Auskenner Lutz Bethge: "Blau strahlt eine klassische Eleganz aus. Und es setzt sich von der Schrift des Computers ab, die in aller Regel schwarz ist." (Michael Hausenblas, RONDO, 24.9.2016)

Weiterlesen:
>> Typograf Erich Spiekermann: Emojos sind ein Rückschritt