Wien – Trotz hochsommerlicher Temperaturen ist das koalitionäre Klima unter Kanzler Christian Kern, erst seit gut drei Monaten im Amt, schon am Gefrierpunkt angelangt. Auslöser: Kerns Solo-Auftritt vor dem Ministerrat – bei dem der SPÖ-Chef quasi vor der wöchentlichen Regierungssitzung über anstehende Beschlüsse wie etwa die Asyl-Notverordnung referiert hat.

Denn nach der politischen Sommerpause hatte Kern kurzerhand das traditionelle Pressefoyer mit Vizekanzler Reinhold Mitterlehner nach der wöchentlichen Zusammenkunft der Regierungsmitglieder abgeschafft. Konsequenz für den ÖVP-Chef am Dienstag: Während sich Kern mit Ansteckmikro relativ lässig an einem Stehtisch den Medien präsentieren konnte, musste sich Mitterlehner später durch die Journalistenmenge pflügen, um von allen Seiten dringliche Fragen zu beantworten.

Belastung für ÖVP-Regierungsteam

Am Tag nach der Premiere des neuen Rituals resümiert ein ÖVPler schonungslos: "Natürlich war und ist das eine Belastung für das ÖVP-Regierungsteam – und das Ganze zeigt fehlenden Teamgeist."

Im Kanzleramt räumt man ein, dass der Ablauf noch "nicht optimal" vonstatten ging. Kern will seine Hintergrundrunden zu aktuellen Politthemen mit Journalisten daher zwar weiterhin wöchentlich, aber nicht mehr unbedingt am Dienstag abhalten. Besonders übel nimmt man es in der ÖVP Kern nämlich, schon vor der Arbeitssitzung Inhaltliches vorweggenommen zu haben. Im Umfeld des Kanzlers begründet man dessen Alleingang allerdings damit, dass nach Kerns ORF-Sommergespräch am Montagabend noch Fragen zu Arbeitslosigkeit, Ausbildungspflicht & Co. offen geblieben seien.

Altes Ritual nur bei Staatstragendem

Wohl aber soll es dabei bleiben, dass nach dem Ministerrat routinemäßig die rot-schwarzen Koalitionskoordinatoren, Minister Thomas Drozda und Staatssekretär Harald Mahrer, vor die Presse treten, um die Beschlüsse zu verkünden. Es sei denn, Kern und Mitterlehner selbst haben Staatstragendes zu verkünden – oder die Fachminister, bei denen wichtige Reformen anstehen, geben Auskunft. Als "Form folgt Inhalt", umschreibt man dieses Prozedere.

Ansonsten will Mitterlehner, der am Dienstag erklärt hat, dass "das, was heute stattgefunden hat, hoffentlich eine Ausnahme war", auch künftig nach dem Ministerrat mit den Journalisten auf Tuchfühlung gehen.

Hunderennen für Journalisten

Inhaltlich geriet der erste Ministerrat neu zwar nicht für die Regierung zu einem "Hunderennen" (Copyright Kern), wohl aber für Journalisten – weil sie zuerst in alle Richtungen nachbohren und dann stundenlang nachtelefonieren mussten, wann die Notverordnung nun in Kraft tritt. Erst in den späten Nachmittagsstunden zeichnete sich ab: Der Kanzler meinte, ab dem 37.500 Asylantrag, aber der Innenminister insistierte, der Notfall-Mechanismus müsse freilich früher aktiviert werden. (Nina Weißensteiner, 7.9.2016)