"When too perfect liebe Gott böse": Dieser schön-schräge Satz des Medienkünstlers Nam June Paik enthält eine wichtige Botschaft, die man auch so interpretieren kann: Wenn wir es mit der Effizienz übertreiben, werden wir scheitern. Die Sache ist grundsätzlicher Natur. Deshalb darf man zuspitzen.

Effizienz an sich ist nichts Schlechtes. Aber ein mit Innovationsfetischismus und Wachstumsglauben eng verwandter Effizienzwahn ist gefährlich. Wenn man Fachleuten glauben darf, wurde dafür am Flughafen Wien vor kurzem ein anschauliches Beispiel geliefert. Aufgrund technischer Probleme fielen zahlreiche Flüge aus, tausende Passagiere waren betroffen. Dass sich derartige Situationen wiederholen werden, ist sehr wahrscheinlich.

Zu den Hintergründen zitiert DER STANDARD einen IT-Experten, der von übertriebenen Effizienzsteigerungen spricht. Jahrelang, heißt es in dem Beitrag, "seien aus Kostengründen öffentliche Infrastrukturen (wie zum Beispiel die Stromversorgung), aber auch die Versorgungsketten in der Wirtschaft immer weiter optimiert worden – ohne an Redundanzen, also zusätzliche Ressourcen als Reserve für Notfälle zu denken. Das räche sich jetzt."

Dieses Phänomen weist sehr weit über den IT-Kontext hinaus. Redundanz ist ein zentraler Faktor für Resilienz, also die Fähigkeit, bei Belastungen oder Störungen nicht einzubrechen, sondern sich wieder zu erholen. Gerade in Krisenzeiten erweist sich eine Fixierung auf Effizienz daher als eine sehr schlechte Strategie.

Der Faktor Redundanz ist in viele technische Konstruktionen eingebaut. Brücken können üblicherweise weit mehr tragen als die zugelassene Last. Dass Passagierflugzeuge bei einem Triebwerksausfall nicht wie Steine vom Himmel fallen, hat mit dieser Form von Sicherheitsüberschuss zu tun. Das ist beruhigend – und ineffizient.

Auch mit Blick auf Umweltbelastungen ist es geboten, eine hinreichende Lücke zu lassen zwischen dem, was als Belastung als möglich erachtet wird, und dem, was wirklich genutzt wird. Wissensprobleme und Risikobewusstsein legen es nahe, Effizienz als dominante Zielsetzung grundsätzlich zu hinterfragen. Wenn man Resilienz will, muss man der Effizienz eine weniger dominante Rolle zuweisen. Heute wird Redundanz im Namen der Effizienz auf breiter Front bekämpft – in Unternehmensberatungen wie McKinsey arbeiten deshalb, mit einer Formulierung von Dirk Kurbjuweit, "Nischenkehrer, Umständlichkeitsglätter, Zufallsvernichter".

Sinnbefreit und fad

Mit Risiken und Nebenwirkungen ist überzogenes Effizienzdenken auch im Gesundheitswesen verbunden. Wenn man mit diesem Wesen und mit Krankheit, Angst und Tod zu tun hat, sieht man schnell: Effizienz stößt hier an Grenzen. Sie kann Geld einsparen. Sie kann aber auch krankmachen. Und dumm: Auch die Bildung steht bekanntlich unter ökonomischem Druck. Redundanz ist aber Teil jedes Lernprozesses. Es braucht Stoffwiederholungen und die Kenntnis von Dingen, die nicht unmittelbar verwertbar sind. Ist man unmodern, weil man glaubt, dass man an der Universität "spielen" können soll (Jürgen Mittelstraß), dass Umwege die Ortskenntnis erhöhen und dass zur Studienerfahrung mehr gehört als bloße Wissensaufnahme?

Maßloser Effizienzwahn ist nicht nur für Reisende, die Natur, Kranke und Studierende gefährlich, sondern ganz grundsätzlich für ein gutes Leben. Das gibt es nämlich nicht ohne unvernünftige Verschwendung. Auch ohne Lektüre von Mauss oder Bataille ahnt man es: Absichtliche Ineffizienz ist kein Phänomen, das es nur in der Vergangenheit oder in exotischen Ländern gibt, sondern auch hier und heute in modernen Gesellschaften: Beispiele sind Olympiaden, Fußballmeisterschaften, Autorennen, Raumfahrtprogramme, Militärparaden, Bälle, Feste, Fasching, Mode, Musik, Museen, Taufen, Beerdigungen, Hochzeiten.

Auf Militärparaden würden viele vielleicht gerne verzichten. Aber ein Leben, das diesen Namen verdient, ist ohne Musik bekanntlich ein Irrtum – und ohne kleine und große Unvernünftigkeiten sinnbefreit und fad. Hochzeiten – die rituelle Verschwendung von Zeit und Geld, Getränken und Edelmetall, Blumen und Aufmerksamkeit – sind ein schönes Beispiel dafür, wie wichtig Unvernunft ist und wie lebensfeindlich, langweilig und lähmend eine durch und durch effiziente Existenz wäre.

Wenn man den zeitgenössischen Effizienzwahn zu Ende denkt – und die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte sprechen dafür, dass man das tun sollte –, landet man in einer Welt ohne Wonne, Wein und wahren Wohlstand. Wem das übertrieben vorkommt, der möge einen genaueren Blick auf die Verheerungen richten, die der Effizienzwahn bereits angerichtet hat. Gesellschaften entwickeln sich nicht gut oder "nachhaltig", wenn Effizienz als Allheilmittel gesehen wird.

Zusammengefasst bringt der Effizienzwahn mindestens zwei große Risiken mit sich. Technische, sozioökonomische und ökologische Desaster werden wahrscheinlicher. Und: Wenn alles effizient ist und verschwenderische Unvernunft keinen Platz mehr im Leben hat, drohen Langeweile und Sinnkrisen. Beides sollten wir auf jeden Fall verhindern. Sonst liebe Gott böse. (Fred Luks, 7.9.2016)