Wien/Straßburg – Sechs Wochen nach dem gescheiterten Putsch in Ankara zeichnet sich in den vielfältigen Konflikten zwischen der EU und der Türkei erstmals eine gewisse Entspannung ab. Noch am Wochenende hatten europäische Spitzendiplomaten beim EU-Außenministertreffen in Bratislava darüber geklagt, dass in der Union eine "gewisse Verzweiflung" eingetreten sei, weil die türkische Regierung ohne Unterlass EU-Vertreter und ganze Mitgliedsländer attackiere.

Es gelinge nicht wirklich, im Streit um die Wahrung der Grundrechte, die EU-Beitrittsverhandlungen und den Migrationspakt auf eine konstruktive Linie zu kommen. Dafür könnte nun jene europäische Institution mit 47 Mitgliedsländern sorgen, die – 1950 gegründet – älter ist als die EU und der die Türkei als Gründungsmitglied angehört: der Europarat mit Sitz in Straßburg.

"Paradeorganisation" für Grundrechte

Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoglu hat nach einem Besuch bei Europaratsgeneralsekretär Thorbjørn Jagland am Mittwoch erklärt, dass seine Regierung die bevorstehenden Prozesse gegen mutmaßliche Putschisten "transparent" gestalten und die Standards der europäischen Menschenrechte jedenfalls einhalten wolle. Der Europarat ist die "Paradeorganisation" für Grundrechte, seine Stimme hat in der Welt Gewicht. Die europäischen Außenminister und Vertreter der EU-Institutionen hatten in den vergangenen Wochen immer wieder dar auf hingewiesen, dass die Türkei die Menschenrechte nicht achte und gegen Oppositionelle und Medien grundrechtswidrig vorgehe.

Ankara hatte dies stets brüsk zurückgewiesen und sich "Lektionen in Sachen Demokratie" verbeten, wie Europaminister Ömer Çelik am vergangenen Samstag beim informellen EU-Ministertreffen sagte.

Menschenrechtskonvention als "Leitlinie"

Generalsekretär Jagland erklärte, dass der Europarat zwar nicht direkt im Prozesssaal tätig werden wolle, allerdings seien die Europaratsexperten bereit, der Regierung in Ankara mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Çavuşoglu nahm dieses Angebot offenbar positiv auf. Er betonte, dass sein Land die Menschenrechtskonvention als "Leitlinie" sehe. Nun sollen Juristen aus der Türkei nach Straßburg kommen und dort Vorbereitungen für die Prozesse treffen.

In Brüssel wird diese Entwicklung mit Erleichterung aufgenommen. Denn die Bereitschaft der Regierung von Staatspräsident Tayyip Erdogan zum Dialog könnte positiv auf die Gespräche über die Wiedervereinigung von Zypern wirken und auch dem weiteren gemeinsamen Vorgehen in der Syrien-Krise und zur Lösung der Migrationsproblematik helfen. (Thomas Mayer, 7.9.2016)