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Kinder während einer Therapiesession in einem Delfinarium in Kiew in der Ukraine. Experten glauben nicht an eine tatsächlich heilende Wirkung durch den Kontakt mit Delfinen.

Foto: REUTERS/Gleb Garanich

Wien – Ein Trainer stützt das Kind im Wasser. Daneben schwimmt ein Delfin im Pool, keckert und quiekt. Das Kind streichelt das Tier und versucht, mit ihm zu interagieren. Spiele wie das Werfen von Reifen, die der Delfin zurückstupsen soll, werden organisiert. – Aus solchen Aktivitäten besteht die Praxis der "Delfintherapie". Über 100 Institutionen und Unternehmen von Mexiko bis Israel, von Florida bis China bieten diese Art des Kontakts mit den Meeressäugern mittlerweile an.

Die Betreiber werben mit "außerordentlichen Ergebnissen" bei einer großen Bandbreite an Krankheiten, von Autismus über Beeinträchtigungen in der Entwicklung eines Kindes bis hin zu Krebs. Kunden sind bereit, tausende Dollar für eine mehrstündige Therapieserie zu zahlen.

Rund um diese boomende Praxis entzündet sich seit einigen Jahren ein Streit zwischen Befürwortern und Gegnern. Anbieter und viele Patienten und Eltern bestehen auf der Wirksamkeit. Studien, die dem Delfinschwimmen einen therapeutischen Wert zugestehen, halten aber einer genaueren Überprüfung nicht stand. Zumindest nicht jener von Lori Marino und Scott Lilienfeld von der Emory-Universität im US-Bundesstaat Georgia, die seit Jahren wissenschaftliche Mängel in diesem Bereich aufzeigen. Sie sagen, dass es keinen Beweis dafür gibt, dass die Arbeit mit Delfinen heilende Wirkung hat.

Soziale Isolation

Zudem lässt sich eine Reihe von Argumenten finden, die gegen die Delfinkontakte sprechen, wie Lilienfeld und einer seiner Kollegen 2015 im "Scientific American" ausführten. Zum einen geht von den Tieren die Gefahr von Verletzungen und der Übertragung von Krankheiten aus. Das Geld, das von den Kunden in die Delfinsessions gesteckt wird, könnte dann bei tatsächlich wirksamen Behandlungen fehlen. Und auch die Tiere selbst leiden. Die Gefangennahme trennt sie von ihrem sozialen Umfeld. Viele überleben diesen Eingriff nicht.

"Sowohl aus ethischer als auch aus biologischer Sicht muss man zu einer kritischen Haltung kommen, die eindeutig ist wie selten", sagt auch Judith Benz-Schwarzburg. Die Wissenschafterin, die in der Abteilung Ethik der Mensch-Tier-Beziehung am Messerli-Forschungsinstitut der Vet-Med-Uni Wien, der Med-Uni Wien und der Uni Wien forscht, hat sich bereits in ihrer Dissertation mit Delfintherapie beschäftigt. Die komplexen Mechanismen, die den Zustand des Patienten verändern, seien nur schwer dingfest zu machen. "Oft existieren die Verbesserungen nur in den Köpfen der Eltern".

Abgesehen von der nicht bestätigten Wirkung gibt es laut Benz-Schwarzburg bereits aus tierethischer Sicht grundsätzliche Bedenken, die einer therapeutischen Arbeit mit Delfinen entgegenstehen: "Die Tiere können nicht artgerecht in Gefangenschaft gehalten werden." Schon in freier Wildbahn sorgt die Anwesenheit von Menschen für Stress bei den Tieren. Sie verbringen dann mehr Zeit mit Bewegung, weniger mit Ausruhen, Futtersuche oder Fortpflanzung. In einem Therapiesetting können die Tiere nicht ausweichen. "Bei der Enge der Situation ist es kein Wunder, dass die Tiere ihr menschliches Gegenüber stupsen, beißen oder unter Wasser ziehen", so die Forscherin. "Es gibt unzählige Berichte, die Bisswunden oder Knochenbrüche belegen." Dazu kommt die mögliche Übertragung von Pathogenen. Selbst Tuberkulosefälle seien bestätigt.

Die Zucht von Delfinen ist schwierig. Viele der Therapietiere sind Wildfänge oder die erste Generation in Gefangenschaft. Selbst bei domestizierten Tieren wie Hunden oder Pferden seien nur wenige Tiere für Therapiezwecke geeignet. Sie müssen nicht nur entsprechende Eigenschaften mitbringen, sondern auch intensiv geschult werden.

Woher kommt aber nun die Annahme, dass gerade Delfine heilsam sind? "Der intensive Mythos, der sich um die Tiere entwickelt hat, kreiert entsprechende Erwartungshaltungen", so die Tierethikerin. Die Tiere wurden schon früh in Zoos ausgestellt. Ihre kognitiven Fähigkeiten und ihr Interesse am Menschen täuschen darüber hinweg, dass sie Raubtiere sind. Ein entscheidender Faktor für die Projektion positiver Eigenschaften liegt laut der Forscherin in der Physiologie der Tiere: im "Gesichtsausdruck", der den Menschen als Lächeln erscheint.

Legt man die Maßstäbe einer utilitaristischen Ethik an die Beziehung zwischen Mensch und Tier an, müsse jede Nutzung mit einem Nutzen gerechtfertigt werden, der die Kosten klar überwiegt, erklärt die Wissenschafterin. Es müsste also ein substanzieller Therapieerfolg nachgewiesen werden, um eine für das Tier schädliche Nutzung zu legitimieren. Das sei bei den Delfinen aber eben nicht der Fall.

Unter Tierethikern gibt es auch jene Überlegung, wonach Tiere wie etwa Menschenaffen, die über ein hohes soziales und kognitives Potenzial verfügen, von ihrem moralischen Status her als "nichtmenschliche Personen" gelten sollten und von einem Nutzungsverhältnis und der Tötung durch Menschen grundsätzlich ausgenommen sein sollten, sagt Benz-Schwarzburg. Folgt man diesem Gedanken, gehörten Delfine angesichts ihrer Fähigkeiten wohl zu den ersten Spezies, denen man dieses Recht zugestehen müsste. (Alois Pumhösel, 8.9.2016)