Flüchtlinge überqueren die ungarisch-österreichische Grenze in Nickelsdorf (Foto von September 2015). Tritt die Notverordnung in Kraft, wird das Neuankommenden verwehrt.

Foto: APA/Schlager

Wien – Am Dienstag einigten sie sich, nach langen Wehen, auf den Entwurf der Asylsonder- (oder -not)verordnung – und von der ÖVP kam die Forderung, die Regelung rasch in Kraft zu setzen. Am Mittwoch dann übten sich Regierungsvertreter in spürbarer Zurückhaltung.

Er halte sich an das Wording des Kanzleramtsministers Thomas Drozda (SPÖ) von Dienstagabend in der "ZiB 2", verkündete etwa Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) im ORF-Radio. Die Verordnung, infolge deren Flüchtlinge an Österreichs Grenzen nur mehr in Ausnahmefällen einen Asylantrag stellen könnten, solle gelten, sobald die für heuer vereinbarte Obergrenze von höchstens 37.500 Asylanträgen "in Reichweite" sei.

Start bei null im Jänner

Aber vielleicht, so Sobotka, sei das heuer gar nicht der Fall – "und nächstes Jahr fangen wir mit dem Zählen neu an" (für 2017 ist eine Obergrenze von 35.000 Asylanträgen vereinbart, Anm.).

Der Wunsch, die umstrittene Regelung vielleicht doch nicht aktivieren zu müssen, dürfte mit den zu erwartenden Folgen einer solchen Aktivierung zusammenhängen. Darauf lässt eine Wortmeldung aus Sonderverordnungsverhandler-Kreisen schließen. Trete die für jeweils ein halbes Jahr geplante Regelung in Kraft, so werde Österreich "mit praktischen und juristischen Herausforderungen konfrontiert sein", hieß es im STANDARD-Gespräch.

"Idomeni in Nickelsdorf"

Praktischen Herausforderungen, da Flüchtlinge an den Grenzen stranden würden – und dort untergebracht und versorgt werden müssten. Amnesty-Österreich-Generalsekretär Heinz Patzelt befürchtet für diesen Fall ein "Idomeni in Nickelsdorf". Juristischen Herausforderungen wiederum, weil die Republik dann mit einiger Wahrscheinlichkeit ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg zu gewärtigen hätte.

Beides zu riskieren, "nur weil, zum Beispiel, bei weiter recht niedrigen Ankunftszahlen Ende November bald der 37.500. Asylantrag kommt, wäre wenig sinnvoll", meint der Mitverhandler. Vielmehr sei die Sonderverordnung für eine Situation geplant, "in der es nicht mehr geht".

Kostenaufstellung

Wann genau dies der Fall ist, wird in Erläuterungen zur Verordnung – die den Zeitpunkt des Inkrafttretens formal offenlässt – nicht geklärt. Die 89.000 Asylanträge aus dem Jahr 2015 und die (geringeren) Ankünfte dieses Jahres würden heuer wahrscheinlich zu "rund zwei Milliarden Euro Kosten im Asylbereich" führen, heißt es da etwa. Eine weitere "Migrationskrise" könnten Asylwesen, Grundversorgung, Gerichte, Arbeitsmarkt, Integrations-, Gesundheits-, Bildungs-, Sicherheits- und Strafvollzugsbereich nicht verkraften.

Als Begründung werden Statistiken und Prognosen, vielfach über Kostenentwicklungen, angeführt. Ihre Stichhaltigkeit entscheidet im Fall eines EuGH-Verfahrens darüber, ob Österreich mit Recht behaupten kann, wegen zu vieler Flüchtlinge vor Gefahren für Sicherheit und Ordnung zu stehen. Ob es – so die Asylverordnung aktiviert wird – also mit Recht von EU-Asylregelungen abweicht.

Kein Rechtsschutz mehr

Doch vor dem EuGH würde es nicht nur um EU-Sekundärrecht gehen, sondern auch um den Umstand, dass Flüchtlinge infolge der Verordnung "um ihren Rechtsschutz gebracht" würden, ergänzt hier der Verfassungsexperte Bernd-Christian Funk im STANDARD-Gespräch. Setze Österreich das Recht, Asylanträge zu stellen, großteils außer Kraft, sei dies auch ein Fall für das internationale Flüchtlingsrecht.

Das UN-Flüchtlingshochkommissariat und Amnesty-Generalsekretär Patzelt sehen das ähnlich. Auch die SPÖ-Jugendorganisationen sprachen sich gegen die Notverordnung aus, denn: Es gebe keinen Notstand. Entgegengesetzt die Reaktion des oberösterreichischen Landeshauptmannstellvertreters Manfred Haimbuchner (FPÖ). Die Regierung mute der Bevölkerung jetzt schon Notstand zu, die Notverordnung komme viel zu spät, meinte er. (Irene Brickner, 7.9.2016)