Die Verbrechen sind nur in Teilen aufgearbeitet, die Person Mao Tse-tung wird auch 40 Jahre nach dem Tod verehrt.

Foto: APA / AFP / Greg Baker

Eine goldene Riesenstatue wurde dennoch Anfang des Jahres wieder abgerissen.

Foto: Imago

Bild nicht mehr verfügbar.

Porträts in Peking bleiben.

Foto: Reuters / Thomas Peter

Durch die lange Schlange geht ein erleichtertes Raunen. Gerade haben sich die Wartenden 40 Minuten lang geduldig von der Westseite aus am Mao-Tse-tung-Mausoleum vorbeigeschoben, in dem der einbalsamierte Körper des Staatsgründers Chinas im Kristallsarg liegt. Seit sechs Uhr früh stellen sie sich an, um ihn zu besuchen.

Absperrungen markieren den Weg zum Eingang des riesigen Schreins. Ordner brüllen in Megafone, keine Taschen mitzunehmen, nicht zu drängen. Mit Würde soll des Großen Vorsitzenden gedacht werden, dem seit 40 Jahren aus Staats- und Parteiräson ein Begräbnis verweigert wird.

Als sich die Masse – die meisten sind Touristen aus ganz China – um das Heldendenkmal in der Mitte des Pekinger Tiananmen-Platzes herumschiebt, taucht der Eingang des Mausoleums in Sichtweite auf. Die Revolutionsskulpturen vor dem 33 Meter hohen Prunkbau sind aus Marmor, die achteckigen Säulen aus Granit, die Ziegel des Daches goldglasiert.

Als die Marschierenden endlich die Sicherheitsschleusen des Eingangportals zum Mausoleum erreichen, sind zwei Stunden vergangen. Dort werden sie in Doppelreihen zügig links und rechts am Kristallsarg vorbei durch den Raum geschleust. Von Mao erhaschen sie mit einem Blick nur das gelbwächserne Gesicht. Sein Körper ist von einer Parteifahne bedeckt. Über 230 Millionen Besucher zogen seit der Öffnung des Mausoleums an Mao vorbei.

Keine Aufarbeitung

Am 9. September 1976 starb der noch heute "Vorsitzende Mao" genannte Diktator, dessen Großpor trät am Tiananmen-Tor einmal jährlich zum Nationalfeiertag neu gemalt wird. Seine Verbrechen und seine Verantwortung für Millionen Tote und barbarische Verfolgungskampagnen dürfen noch immer nicht aufgearbeitet werden. Zu seinem 120. Geburtstag am 26. Dezember 2013 pilgerte Chinas Parteispitze unter Präsident Xi Jinping zum Kristallsarg. In seiner Laudatio versicherte Xi, dessen Vater einst zu den politisch Verfolgten gehörte, dass Chinas Partei an Mao als Garant für ihre Herrschaft festhalten werde.

Mao ist nicht nur ideologisch präsent. Sein Konterfei ist seit 2001 auf jeder chinesischen Banknote aufgedruckt. Wenn er dies wüsste, würde er im Grab rotieren. Der permanente Revolutionär hatte in seinem letzten Lebensjahr beklagt, dass es ihm nicht gelungen sei, Chinas sozialistische Gesellschaft vollends vom Kapitalismus zu befreien: "Warum brauchen wir noch immer Geld?"

Seine Nachfolger verwehrten ihm auch den Wunsch, nach seinem Tode eingeäschert zu werden. Am 27. April 1956 hatte Mao dies gemeinsam mit anderen hohen KP-Funktionären in einer Erklärung verlangt, um so ein Zeichen gegen die feudalistische Unsitte der Erdbestattung zu setzen.

Als Galionsfigur steht Mao aber hoch im Kurs. Eine kritische Debatte über ihn oder sein feudales Mausoleum ist tabuisiert. Xie Piao, der 1976 als Techniker in der Pekinger Planungskommission arbeitete, beschrieb in der Juli-Ausgabe der Reformzeitschrift "Yanhuang Chunqiu" nun detailreich das Chaos und die Furcht unter Chinas Führung nach Maos Tod. Die mutige Redaktion des Magazins ist dann im August wegen vieler solch kritischer Berichte komplett ausgetauscht worden.

Expertise im Einbalsamieren

Mao war am 9. September 1976, zehn Minuten nach Mitternacht, gestorben. Um zwei Uhr früh entschied das Politbüro, seine Leiche vom 10. bis 16 September öffentlich aufzubahren. Sie wussten aber nicht, wie sie Maos Körper erhalten oder gar wie Lenin und Vietnams Ho Chi Minh auf ewig einbalsamieren könnten.

Techniker Xie hörte vom internen Hilferuf des Politbüros, wo Panik herrschte. Im provisorischen Sarg aus Plexiglas erwärmte das Licht der Scheinwerfer bei den Trauerzeremonien den aufgebahrten Körper auf 20 Grad. Mao drohte zu verfallen, obwohl alle Klimaanlagen auf Hochtouren liefen. Xie wusste, wie er mit thermoelektrischen Materialien Stickstoff abkühlen und in den Sarg pumpen konnte. Bis 12. September hatte er Maos Körpertemperatur auf unter acht Grad heruntergekühlt.

Was nach dem Ende der Trauer kam, war noch vertrackter. Ein Jahr lang musste der Leichnam in einem unterirdischen Krankenhaus unter dem Tiananmen-Platz von einem Ärzte-Spezialteam präpariert werden, bis er im neugebauten Mausoleum vorzeigbar war. Regelmäßig müsse Mao aber noch immer über einen hydraulischen Aufzug in die unterirdische Kammer versenkt werden, um dort in einem mit Spezialflüssigkeit gefüllten Becken wieder konserviert zu werden. Nur so hat der Vorsitzende die vierzig Jahre seit seinem Tod überstehen können. (Johnny Erling aus Peking, 9.9.2016)