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Bei Leuten, die nicht an schwerem Asthma leiden, halbierte Vitamin D das Risiko für einen schweren Anfall.

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EbM-Experte Gerald Gartlehner nimmt für derStandard.at regelmäßig aktuelle Studien unter die Lupe.

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Die Halbwertszeit des Wissens in der Medizin ist kurz – im Schnitt liegt sie bei fünf Jahren. Aber manchmal kommt es vor, dass sich innerhalb von drei Wochen etwas ändert. Darum noch einmal zurück zu Vitamin D.

Im letzten Blog habe ich auf die überbordenden Erwartungen an Vitamin-D-Supplemente hingewiesen. Nun lässt eine brandneue Übersichtsarbeit von Cochrane vorsichtigen Optimismus beim Thema Vitamin D und Asthma aufkommen: Die gezielte Einnahme des "Sonnenvitamins" parallel zu den verschriebenen Asthma-Medikamenten kann offenbar in manchen Fällen schwere Attacken reduzieren.

Die Lungenkrankheit steht schon länger im Fokus der Vitamin-D-Forschung. Denn Untersuchungen haben immer wieder gezeigt, dass der Vitamin-D-Spiegel im Blut von Asthmakranken oft sehr niedrig ist. Weltweit wird deshalb an den zugrunde liegenden Mechanismen und an möglichen Behandlungswegen geforscht.

Effekte nicht groß genug

Die Einzelstudien, in denen zwei Gruppen unterschiedlich behandelt wurden – eine Gruppe mit Vitamin D, die andere Gruppe mit Placebos –, haben bisher enttäuscht. Die Effekte waren nicht groß genug, um als Erfolg gewertet werden zu können. Erst die statistische Kombination der Daten aus mehreren Studien hat dieses Bild nun verändert.

In die Endauswertung wurden neun Studien aus verschiedenen Ländern aufgenommen: sieben mit 435 Kindern und zwei mit 658 Erwachsenen. Die meisten litten an schwachem bis mittelstarkem Asthma. Die Studien dauerten zwischen vier und zwölf Monate.

Nicht alle ursprünglichen Fragestellungen konnten aus dem Datensatz beantwortet werden. Eine sogenannte "hohe Evidenz" – sprich Aussagen, die sehr gut belegt sind – haben folgende Ergebnisse:

Bei Leuten, die nicht an schwerem Asthma leiden, halbierte Vitamin D das Risiko für einen schweren Anfall. Mit "schwerem Anfall" meint das englische Forschungsteam eine Attacke, die einen Krankenhausbesuch nötig macht. In einem Zeitraum von einem halben bis einem Jahr lag das Risiko bei sechs Prozent in der Placebo-Gruppe und bei drei Prozent in der Vitamin-D-Gruppe. Oder, in anderen Worten: Wenn 27 Personen in diesem Zeitraum zusätzlich Vitamin D einnehmen, kann bei einer Person ein schwerer Asthmaanfall vermieden werden.

Kein Einfluss auf Asthma-Symptome

Ebenfalls seltener wurden Anfälle, die mit Kortisontabletten behandelt werden mussten: Ohne Vitamin D trat so ein Anfall im Durchschnitt alle zwei Jahre auf, bei jenen, die Vitamin D bekommen hatten, durchschnittlich alle dreieinhalb Jahre. Auch diese Zahlen können anders dargestellt werden: Innerhalb von sieben Monaten brauchten 29 von 100 Personen ohne Vitamin D eine Kortisonbehandlung im Vergleich zu 18 von 100 mit Vitamin D. Weil es zu dieser speziellen Frage nur aus einer kleineren Kinderstudie mit lediglich 22 Teilnehmern Daten gab, lässt sich das Ergebnis ohne weitere Untersuchungen nicht auf Kinder umlegen.

Umgekehrt kann ebenfalls mit hoher Evidenz gesagt werden: Das Vitamin-D-Extra hatte keinen Einfluss auf die Asthma-Symptome im täglichen Leben – die blieben unverändert. Bei der Lungenfunktion oder der Anzahl der Tage, an denen Kinder wegen Asthma nicht in die Schule beziehungsweise Erwachsene nicht zur Arbeit gehen konnten, gab es ebenfalls keine Verbesserung.

Viele Antworten fehlen noch

Vitamin D kann also offenbar helfen, in bestimmten Gruppen das Risiko für schwere Asthmaattacken zu reduzieren. Bei der Präsentation der Studie wiesen die Autoren jedoch darauf hin, dass die Aussagen nur für Personen gelten, die ihre konventionelle Behandlung fortsetzen und nicht an schwerem Asthma leiden. Für schwer Asthmakranke und leider auch für Kinder und Jugendliche waren die Daten nicht ausreichend, um zu einem eindeutigen Ergebnis zu kommen.

Noch völlig offen ist, ob alle von Vitamin D profitieren oder nur Personen mit niedrigem Vitamin-D-Spiegel. Auch über die benötigte gesundheitsförderliche Dosis lässt sich nach derzeitigem Forschungsstand nichts sagen. Für eindeutige Empfehlungen ist es also noch zu früh. Doch weitere Studien, so verspricht der Studienleiter, sind unterwegs. (Gerald Gartlehner, 9.9.2016)