
Ein Votum nach links oder nach rechts? Weder noch, meint die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz. Bei der Bundespräsidentschaftsstichwahl gehe es um eine Entscheidung für oder gegen die Demokratie.
Wann immer nun der nächste Bundespräsident gewählt wird – apropos #uhugate bzw. Wahlkartenschlamassel, das vielleicht zu einer Verschiebung der für 2. Oktober angesetzten Wiederholung der Stichwahl zwischen Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen führt – es geht dabei um mehr als nur eine Entscheidung zwischen dem FPÖ-Kandidaten und dem ehemaligen Grünen-Chef, sagt Schriftstellerin Marlene Streeruwitz im STANDARD-Interview. Das Szenario laute vielmehr: für oder gegen die Demokratie. Um auf die demokratiepolitische Tragweite des anstehenden Votums über das Staatsoberhaupt und dessen weitreichendes Kompetenzenarsenal hinzuweisen, hat Streeruwitz einen "Wahlkampfroman 2016" gestartet, der die aktuelle Auseinandersetzung begleitet und literarisch analysiert, wie das Leben wird, wenn wir dann doch irgendwann einen neuen Präsidenten gewählt haben werden.
STANDARD: Als Reaktion auf die Wiederholung der Bundespräsidentschaftsstichwahl schreiben Sie den "Wahlkampfroman 2016". Jeden Donnerstag geht ein neues Kapitel online. Warum diese literarische Intervention bei dieser Wahl?
Marlene Streeruwitz: Weil der Roman als Kunstform die einzige Möglichkeit ist, abstrakte Verhältnisse wie eine politische Entscheidung auf das Leben zu beziehen und damit den Sonderfall des Allgemeinen herauszuarbeiten.
STANDARD: Der Titel lautet "So wird das Leben". Wie wird es denn, wenn Norbert Hofer oder Alexander Van der Bellen gewinnt?
Streeruwitz: Ich habe lange überlegt, eine negative Utopie vorzulegen, aber das würde Hofers Wahl schon affirmieren. Das kommt für mich natürlich nicht infrage, wobei das Ganze ja wie eine Schulsprecherwahl gehandhabt wird, was sowieso ein empörender Zustand unserer Politik ist. Ich finde die Auswahl zwischen diesen beiden Schulsprechern sehr schwierig. Die Frage lautet wirklich: Demokratie oder nicht? Denn wir können uns ganz gut ausmalen, was es heißt, nicht mehr die Demokratie, die wir kennen, zu haben, sondern die völkisch-nationale Anordnung der Rechten.
STANDARD: Inwiefern ist die Hofburg-Stichwahl eine Entscheidung für oder gegen die Demokratie?
Streeruwitz: Im "Handbuch freiheitlicher Politik" ist die Vorstellung enthalten, dass es eine Trennung von Staatsbürgerschaften geben soll, also zwischen der "autochthonen" Bevölkerung, den Einheimischen, und den Anderen, für die zum Beispiel nur ein eingeschränkter Zugang zur Sozialversicherung vorgesehen ist. Es wird also die Solidarität aufgegeben, ein demokratisches Prinzip, das, wenn es verlorengeht, unwiederbringlich ständestaatliche Organisationen nach sich zieht. Es gibt dann Gruppen oder Stände, die im Staat miteinander verhandeln müssen. Das war bis jetzt nicht notwendig, weil der Gleichheitsgrundsatz das aufgehoben und die Sozialpartnerschaft mit dem Konsens, dass es eine friedliche Demokratie geben soll, funktioniert hat.
STANDARD: Hängt die Demokratie in Österreich wirklich an der einen Person, dem Mann in der Hofburg?
Streeruwitz: Wenn man die Verfassungsnovelle von 1929 ernst nehmen muss, dann ist es so. Dann braucht der Angelobte nur sagen "Ich gelobe", und der nächste Satz kann schon sein "Ich entlasse die Regierung und löse kraft meines Amtes den Nationalrat auf". Er muss nicht einmal einen Grund angeben. Mit dieser Formel steht dem stillen Staatsstreich nichts entgegen.
STANDARD: Sie sprechen von Schulsprecherwahl. Das klingt ein bisschen despektierlich. Halten Sie das Amt des Bundespräsidenten für entbehrlich oder bezieht sich das auf die spezielle Konstellation zwischen Van der Bellen und Hofer?
Streeruwitz: Offenkundig – und da zähle ich mich zu den Betrogenen – habe ich in einem Land gelebt, von dem ich dachte, Demokratie sei implementiert. Jetzt erst sehe ich, dass das nicht stimmt und dass die Rolle des Bundespräsidenten nur dadurch beruhigt war, dass die Amtsinhaber bis jetzt aus alten Sozialpartnerschaftsgründen stillgehalten haben. Dieser Aspekt war offenkundig nur den Leuten bewusst, die ein Begehren haben, diesen Staat wirklich umzukrempeln. Es geht um eine andere Form von Revolution. Ich glaube, die FPÖ will umkrempeln.
STANDARD: Norbert Hofer ist für ein "Kopftuchverbot im öffentlichen Raum" und würde eine Ministerin nur ohne Kopftuch angeloben. Was sagen Sie als Feministin zum Thema Kopftuch- und Burkaverbot?
Streeruwitz: Eine der schönsten Errungenschaften der Monarchie war die Kleiderfreiheit. Jede Person zieht an, was sie oder er will, solange es halbwegs einem moralischen Standard entspricht. Ich würde sagen, wir bleiben dabei. Es gibt keinen Grund Vorschriften zu machen. Eine Burka-Einreisende muss die Burka sowieso abnehmen, um einreisen zu können. Das muss genügen. Mit dieser rassistischen Religionsauffassung beginnt eine Zurichtung des Staatsbürgers, die die Zurichtung der Staatsbürgerin nach sich zieht, weil in der FPÖ gibt es ja keine Frauenpolitik, sondern nur Männerpolitik. Irgendwann wird der mittelalterliche Zustand erreicht sein, dass bestimmte Personen bestimmte Dinge anziehen dürfen oder nicht – das ist Ständestaat.
STANDARD: Haben Sie keine Angst, dass durch veraltete Geschlechterbilder, die ein Teil der Flüchtlinge mitbringt, Frauenrechte rückabgewickelt werden und wir erkämpfte Freiheiten verlieren könnten?
Streeruwitz: Das ist so wunderbar, dass alle sagen, erstens dürfen sie gar nicht hierher. Dann werden sie nicht in den Arbeitsprozess eingebunden, aber wir haben Angst, dass sie etwas ändern. Wie sollen die das tun, wenn wir es nicht wollen? Das ist auch eine erfundene Machtlosigkeit der Politik. Wenn wir auf unsere Errungenschaften bestehen – und wir sollten das –, dann geht es nicht darum, keine Identität zu haben, sondern eine demokratische, friedliche Identität, die durchgesetzt wird. Warum sollte ich eine Burka anziehen, weil irgendwer sie anhat? Diese Angst ist erstaunlich. Ich glaube, dass es eine altmodisch-männliche Antwort auf die Ängste vor der Emanzipation ist, und dass eigentlich jeder österreichische Macho gerne mit drei Frauen in der Burka hinter sich herumgehen würde.
STANDARD: Was denken Sie über die Wiederholung der Stichwahl?
Streeruwitz: Was ich sehr interessant finde und falsch, ist, dass nur der letzte Wahlteil wiederholt wird. Ich hätte gedacht, dass die gesamte Wahl von Anfang an wiederholt werden muss. Dieser komische Mittelweg überzeugt mich weder für die Richterinnen und Richter noch rückt er den Rechtsstaat in ein gutes Licht, es ist ein Wischiwaschi. Die Entscheidung hat für mich etwas Ängstliches. Es wäre gut gewesen, hier einen klugen Riegel vorzuschieben und es auszuhalten, dass es nun diese Form von Auseinandersetzung gibt, die keine Auseinandersetzung ist, sondern reiner Angriff.
STANDARD: Was sagen Sie denn zur Auseinandersetzung zwischen den beiden Kandidaten? Hofer und Van der Bellen stehen ja doch für zwei sehr unterschiedliche politische Flügel oder Lebensrealitäten.
Streeruwitz: Ich beklage die Auswahl der Kandidaten, weil sich durch sie die Brisanz dieser Entscheidung nicht darstellt, weil beide aus Angst, nicht populistisch genug zu sein, die Diskussion nicht aufnehmen, sondern nur stänkern. Es wird nur gestänkert, deswegen sage ich Schulsprecherwahl. Es wird ja nicht diskutiert, wobei ich glaube, dass Hofer nicht diskutieren kann. Es gibt im Grunde eine sprachlose Konstellation, die keine Weiterrede entwickelt, wir können nichts daran sehen. Daraus entsteht ein Lagerdenken, in dem Personen ihre Eigeninteressen mit den Kandidaten verbinden und wohl wenige dialogisch entscheiden.
STANDARD: Sie sagen, es wird nur gestänkert. Also auch von Van der Bellen. Was stört Sie an ihm?
Streeruwitz: Van der Bellen hat eigentlich immer in Diskussionen gute Figur gemacht, wenn er kämpfen musste. Hier kann er nicht kämpfen. Er wirkt müde, weil ja kein Argument aufgenommen wird. Er spricht wie gegen eine Wand. Das geht für den, der mehr möchte, immer schlecht aus.
STANDARD: Wie sollte der Mann – oder die Frau – in der Hofburg aus Ihrer Sicht idealtypisch sein?
Streeruwitz: Ich will zuerst eine Verfassungsänderung, dass es die Ermächtigung dieses Amts nicht mehr gibt, die Demokratie zu beenden. Dann soll sich irgendwer hinsetzen, der oder die in der Lage ist, zu vertreten. Hofer und die FPÖ wollen ja herrschen, die demokratischen Parteien sollten aber vertreten wollen. Wobei ich der ÖVP und der SPÖ vorwerfe, sich nicht auf die Seite der Demokratie zu stellen.
STANDARD: "Wir werden an den Fragen von Ideologie und Einstellung anders arbeiten müssen, als es bisher der Fall war", sagten Sie jüngst. Ist zu wenig Ideologie in der Politik?
Streeruwitz: In diesem Wahlkampf sowieso und in der Politik, die sich durch die großen Koalitionen in eine Art Familiensituation verwandelt hat, sicher auch. Wie soll man denn mit dem bösen Cousin darüber reden, was gemeint ist? Es gibt natürlich auch einen Medienanspruch, der hastig atmet und hetzt. Da hätte ich eine andere mediale Verantwortung erwartet. Aber mit den Gratiszeitungen, die ja nur für ihre Anzeigenkunden schreiben, ist die Privatisierung vollendet. Wir sind also einem ungehemmten, ziemlich kruden Kapitalismus ausgesetzt, der in der Politik nicht aufgefangen wird.
STANDARD: Trauen Sie der Politik zu, dem etwas entgegenzusetzen?
Streeruwitz: Wir haben die Erbschaft Schüssel, in der die Opposition in einer Art Verkindlichung erstickt wurde. Es wird nichts ernst genommen, das von außen kommt. Das hat sich die ganze Politik angewöhnt. Aber das müssen sie jetzt auslöffeln. Jetzt ist ganz Österreich in der Angst vor der Katastrophe vollkommen gelähmt, passiv und geradezu in das Schicksal gebeugt. In Wirklichkeit ist die Katastrophe längst passiert – 1929 mit der Verfassungsnovelle. Das muss neu geregelt werden. Es wird kein Tsunami über Österreich gehen, sondern es ist nichts anderes zu erwarten als die Ergebnisse der eigenen Taten.
STANDARD: Wie und wann wird der Roman enden? Am Wahlabend?
Streeruwitz: Ich kann mir vorstellen, dass der Roman und die Beobachtung der Verhältnisse weitergeführt werden müssen, es kann aber auch sein, dass es mir dann ganz sinnlos vorkommt. (Lisa Nimmervoll, 10.9.2016)