Michael Mantler, aufgenommen in der Wiener Innenstadt: "Ich habe keinen Namen für meine Musik. Ich weiß nur, dass ich, ganz altmodisch gesprochen, beim Komponieren etwas fühlen muss."

Andy Urban

Wien – In seine Geburtsstadt Wien kehrt Jazzkomponist Michael Mantler (73), der heute in Kopenhagen lebt, eher nur sporadisch zurück. Im Porgy & Bess stellt er heute, Samstag, und morgen, Sonntag, seinen neuen Songzyklus Comment c'est vor, eine ebenso spröde wie vollendet klangschöne Third-Stream-Komposition nach Texten u. a. von Samuel Beckett.

Mantler musiziert seit mehr als 50 Jahren. Als junger St. Pöltener ging er über den Großen Teich. Der Trompeter fasste unglaublich rasch in der New Yorker Avantgarde-Szene Fuß. Er organisierte die Free-Jazzer in der "Jazz Composer's Orchestra Association".

Diese bündelte als Non-Profit-Stelle die Unternehmungen so eigenwilliger Klangforscher wie Cecil Taylor. Bereits als Mittzwanziger schuf Mantler eine der wichtigsten Free-Jazz-Platten der an harschen Klangentladungen nicht eben armen 1960er-Jahre. Auf dem Doppelalbum The Jazz Composer's Orchestra (1968) bewahrte der ernste Jüngling jederzeit den kompositorischen Überblick. Gegen die markerschütternden Schreie eines opulent besetzten Blechblasorchesters entfesselte er die Improvisationskünste solcher Giganten wie Taylor (Piano), Pharoah Sanders (Tenorsaxofon), Don Cherry (Kornett) oder Larry Coryell (Gitarre).

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Diese niederschmetternd schöne Platte markierte erst den Anfang. Mantler heiratete die Pianistin/Organistin Carla Bley. Seine Musik unterwarf er zahllosen Verfeinerungen, indem er sie kammermusikalisch auflockerte. Klangfarben entlieh er bei der Rockmusik. Sänger wie Jack Bruce oder Robert Wyatt erhoben für ihn wie Nachtigallen ihre Stimmen. Gelegentlich saß sogar Nick Mason (Pink Floyd) für den Österreicher auf dem Schlagzeughocker.

Heute sagt Mantler mit feinem Lächeln: "Die waren alle sehr interessiert an einer Zusammenarbeit mit mir. Jemand wie Jack Bruce" – der spielte einst im Rocktrio Cream – "hat zum Jazz eigentlich aufgeblickt." Längst schaut Mantler auf einen eindrucksvollen Plattenkatalog zurück (meist auf dem ECM-Label): Er entwarf süffige Klänge für das Balanescu Quartet. Er vertonte Texte von Außenseiterautoren wie Beckett, Philippe Soupault oder Ernst Meister. Er wagte sich an die überholt geglaubte Großform der Symphonie heran.

Komplexe Schichtungen

Und immer blieb der magische Mantler-Touch spürbar: komplexe Klangschichtungen, in denen einfache Motive vielfältigen harmonischen Belastungsproben unterzogen werden. Mantlers Musik ist introvertiert, zerebral kontrolliert und bemerkenswert ungeschwätzig. Sie verschmäht nicht die Errungenschaften der Minimal Music. Vor allem aber vermeidet sie das einfache ABC des Jazz, Akkordprogressionen, die bloß zu erwartbaren Ergebnissen führen.

Kein Wunder, dass die Kunst der Improvisation, die eigentliche Heilige Kuh des Jazz, beim Komponisten Mantler nicht übermäßig viel Auslauf genießt. "Sie kommt bei mir immer vor, aber eben nur im Rahmen der kompositorischen Organisation. Die alten Parameter des ,Sich-frei-Spielens' interessieren mich überhaupt nicht. Auch wenn die Leute noch immer loslegen wie vor 40, 50 Jahren." Er selbst pflegt Aufführungen seiner Werke im Nachhinein recht rücksichtslos zu edieren. "Ich werfe Unmengen von Material weg. Ich nehme bis zuletzt Änderungen vor, und die fertige CD bildet dann die Quintessenz der jeweiligen Aufnahme."

Auch als Trompeter mit scharfem, knappem Ton passt sich Mantler gerne den Erfordernissen an: "Mein Trompetenspiel war immer irgendwie ergänzend. Ich muss mein Instrument nicht immer hören, ich finde das langweilig." Michael Mantler ist ein freundlicher, aber illusionsloser Zeitgenosse. Spricht er über Wynton Marsalis, so lobt er dessen Trompetenspiel: "Ich wünschte, ich könnte so spielen wie er." Mit dem verbohrten Traditionalismus des Kollegen kann er hingegen nicht das Geringste anfangen.

Wie es denn überhaupt nicht viel Neues unter der Sonne zu bestaunen gebe: "Es ist ja alles schon da gewesen!" Comment c'est, das auch bald auf Platte vorliegt, muss es freilich unbedingt geben. Mit dem Max-Brand-Ensemble unter Christoph Cech, mit Pianist David Helbock und Sängerin Himiko Paganotti. Ein Zyklus über die politische Verkommenheit der Welt. (Ronald Pohl, 10.9.2016)