Minsk/Moskau – Wenn am Sonntag rund sieben Millionen Weißrussen ein neues Parlament wählen, sind große Überraschungen ausgeschlossen. Intrigen über Opposition und Mehrheitsverhältnisse gibt es schon seit dem vergangenen Jahrhundert nicht mehr. Schon kurz nachdem Alexander Lukaschenko 1994 an die Macht kam, verwandelte er die Nationalversammlung in ein Taschenparlament ohne große Befugnisse. Und seit spätestens 2003, als die letzten wahren Oppositionellen rausgekegelt wurden, auch ohne lästige Zwischenrufer. Von den 400 Gesetzen, die das Parlament zuletzt verabschiedet hat, wurden nur drei von den Abgeordneten verfasst, die übrigen kamen aus dem Präsidialbüro.

Bis Freitag hatten 17 Prozent der Wähler per Briefwahl abgestimmt. Der hohe Anteil an Briefwählern ist Teil der Wahlfolklore und erschwert die Kontrolle.

Kosmetische Veränderungen

Also wird auch das neue Parlament großteils aus Lukaschenko-Loyalen bestehen – und doch gibt es zumindest kosmetische Veränderungen im Wahlkampf. So ist die Rhetorik der Regierung gegenüber der Opposition deutlich weicher geworden. Lukaschenko sagte jüngst, es sei nicht schlecht, im Parlament hie und da auch andere Standpunkte zu hören. Das hatte Auswirkungen: Die Wahlkommission hat heuer "nur" 15 Prozent der Kandidaten ausgesiebt. Vor vier Jahren scheiterte noch ein Viertel an Formalitäten.

Die härtesten Widersacher des Regimes flogen natürlich raus: So wurde Ales Lahviniec, Vizechef der Oppositionsbewegung "Für Freiheit", knallhart aus dem Rennen gezogen. Eine zweite Verwarnung erhielt er, als er bei einem Wahlkampfauftritt vom Lukaschenko-kritischen Rockmusiker Ljawon Wolski begleitet wurde.

Das Carnegie-Zentrum räumt nur zwei Kandidaten der gemäßigten Opposition größere Chancen auf ein Mandat ein: Ex-Präsidentschaftskandidatin Tatjana Karatkewitsch und der Sprachforscherin Jelena Anisim.

Lichtjahre entfernt

Das sind geringe Fortschritte, doch angesichts der derzeitigen Bestrebungen der EU, Weißrussland mehr an sich zu binden, dürften sie in Brüssel auch offiziell registriert werden. Fällt die westliche Kritik gemäßigt aus, erlaubt sie beiden Seiten, ihren Annäherungskurs fortzusetzen. Von echter Demokratie bleibt Minsk dabei allerdings Lichtjahre entfernt. (André Ballin, 10.9.2016)