US-Außenminister John Kerry und Russlands Außenminister Sergej Lawrow gaben in Genf die vereinbarte Waffenruhe bekannt.

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Damaskus/Genf – In Syrien soll am Montag eine neue Waffenruhe in Kraft treten. Doch die vielen gescheiterten Versuche, die zahlreichen Konfliktparteien und die unübersichtliche Lage nach fünf Jahren Bürgerkrieg schüren Zweifel an den Erfolgsaussichten der Vereinbarung, die US-Außenminister John Kerry und sein russischer Kollegen Sergej Lawrow bei langwierigen Verhandlungen ausgehandelt haben.

Stellungnahme von US-Außenminister John Kerry in der Nacht auf Samstag in Genf.
U.S. Department of State

Ein Überblick über die drei größten Hindernisse:

Misstrauen zwischen den Konfliktparteien

Zwischen Regierungstruppen und Rebellen herrscht tiefes Misstrauen. Ein Waffenstillstand, den die Konfliktparteien im Februar auf Vermittlung der USA und Russlands vereinbart hatten, wurde nie vollständig eingehalten. Die Luftangriffe hielten an, vor allem in der heftig umkämpften Großstadt Aleppo lieferten sich Regierungstruppen und Rebellen schwere Kämpfe.

Ob diesmal genug Vertrauen für ein Ende der Kämpfe aufgebaut werden kann, ist fraglich: Die Regierung von Machthaber Bashar al-Assad bezeichnet alle ihre bewaffneten Gegner grundsätzlich als "Terroristen". Auch die Rebellen hätten "wenig Vertrauen" in eine dauerhafte Waffenruhe, sagt der Syrien-Experte Charles Lister vom Middle East Institute in Washington.

Das Hohe Verhandlungskomitees (HNC), eine wichtige Dachorganisation der syrischen Opposition, geht davon aus, dass Assad sich diesmal nur an die Waffenruhe halten wird, wenn Moskau massiv Druck auf seinen Verbündeten ausübt. Aus "freiem Willen" werde die syrische Regierung ihre Zusagen nicht einhalten, meint die HNC-Sprecherin Bassma Kodmani.

Zusammenarbeit zwischen Rebellen und Jihadisten

Der Vereinbarung zufolge müssen alle Rebellengruppen ihre Zusammenarbeit mit der jihadistischen Fateh-al-Sham-Front beenden. Im Kampf gegen die Assad-Truppen hatten gemäßigte und islamistische Rebellen zuletzt vor allem in den Provinzen Idlib und Aleppo mit der früheren Al-Nusra-Front kooperiert.

Nach Angaben von Kodmani sind die Rebellen bereit, die Allianz aufzukündigen, wenn die Waffenruhe hält. "Die moderaten Gruppen werden sich neu organisieren und von den radikalen Gruppen distanzieren", versichert die HNC-Sprecherin. "Wir werden unseren Teil tun."

Beobachter sind da jedoch skeptisch: Bisher hätten sich die Rebellen nicht bereit erklärt, mit der Fateh-al-Sham-Front zu brechen, meint der Syrien-Experte Lister. Die Zusammenarbeit mit den Jihadisten werde von ihnen als "militärische Notwendigkeit" gesehen. Die Rebellen befürchten demnach, nach einem Bruch mit der Fateh-al-Sham-Front Gebiete an die Regierungstruppen zu verlieren.

Vielzahl der Akteure

Ein weiterer Knackpunkt ist die große Zahl der am Konflikt beteiligten Parteien, die an zahlreichen Fronten kämpfen und höchst unterschiedliche Interessen haben. Zu den eigentlichen Kriegsparteien – Regierungstruppen, Rebellen, Kurden und Jihadisten – kommen noch etliche regionale und internationale Akteure, die die gegnerischen Seiten unterstützten.

Der Assad-Gegner Türkei, der zuletzt auch mit eigenen Soldaten in den Konflikt eingegriffen hatte und in Nordsyrien sowohl gegen die Jihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) als auch gegen Kurdenmilizen kämpft, hat die Waffenruhe begrüßt. Der Iran, neben Russland der wichtigste Verbündete Assads, hat sich bisher nicht zu Wort gemeldet.

Das Einverständnis Teherans sei aber unbedingt nötig, meint der Nahost-Experte Lister. Wenn der Iran die Vereinbarung als Wegbereiter für einen Kompromiss zwischen den USA und Russland für den politischen Übergang in Damaskus einschätze, könne er die Waffenruhe als "aktiver Spielverderber" durchkreuzen. (APA, 10.9.2016)